Mobilität ist unser Grundrecht!

Mobilität ist unser Grundrecht!

Nein zur Kriminalisierung von „Schwarzfahrer:innen“!

Am Mittwoch (29. Juni) steht in Aachen eine Person wegen „Schwarzfahren“ vor Gericht. Genauer gesagt geht es um den Straftatbestand „Erschleichen von Leistungen“ (§265a StGB). Bei Verurteilung kann dem Menschen eine hohe Strafzahlung bis hin zu einer Haftstrafe (bis zu einem Jahr) drohen. Unsere volle Solidarität gilt der angeklagten Person, welche aus Protest „schwarz“ gefahren ist.

Ein Straftatbestand bloß für das Fahren ohne Ticket? Ja, denn dieser Straftatbestand wurde bereits 1935 in Nazi-Deutschland eingeführt und nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 einfach ins Strafgesetzbuch (StGB) aufgenommen. Bis heute ist das „Erschleichen von Leistungen“ unverändert ein Bestandteil herrschender bürgerlicher Gesetze und wurde von bisherigen Regierungen und bürgerlichen Parteien verteidigt. Entsprechende Gesetzesänderungen zur Entkriminalisierung in den letzten Jahren (sowohl von DIE LINKE als auch B90/Grüne) wurden abgelehnt. Inzwischen möchte das Justizministerium die Entkriminalisierung prüfen lassen¹, gleichzeitig werden „Ersatzfreiheitsstrafen“ jedoch weiterhin als „wirksames Druckmittel“ angesehen². Die Justizministerin von Hessen (Eva Kühne-Hörmann, CDU) sprach bei einer eventuellen Entkriminalisierung in alarmistischem Ton sogar von der „Kapitulation des Rechtsstaates“³.

Dabei ist der Umstand, dass man für das Nichtzahlen eines 2€-Tickets womöglich sogar im Gefängnis landet reichlich absurd: Wird man beim „Schwarzfahren“ erwischt, wird zunächst ein erhöhtes „Beförderungsendgeld“ (ca. 60€) gefordert. Wird dieses nicht gezahlt, so bekommt man vor Gericht bei einer Verurteilung anschließend eine Strafzahlung, die, wenn auch nicht gezahlt, mitunter in eine „Ersatzfreiheitsstrafe“ von bis zu einem Jahr umgewandelt werden kann. Wer sich also das ursprüngliche Ticket nicht leisten kann, auch weil vermeintliche „Sozialtickets“ häufig ihrem Namen nicht gerecht werden, und das Pech hat erwischt zu werden, muss im schlimmsten Fall sogar mit einer Freiheitsstrafe rechnen³. Das kostet übrigens eine ganze Menge: Pro Person und Tag werden im Schnitt 157,72 € dafür ausgegeben. Für alle Menschen, die bundesweit als „Scharzfahrer:innen“ im Gefängnis sitzen, sind das täglich ca. 115.000 € – vom bürokratischen Aufwand ganz zu Schweigen. Laut einer Studie des Kriminologischen Dienstes NRW ist jeder vierte inhaftierte Mensch, der eine „Ersatzfreiheitsstrafe“ erhält lediglich „Schwarzfahrer:in“².

Damit ist es zudem eine gezielt arbeiter:innenfeindliche Klassenpolitik, die erneut ihren Ursprung in Nazi-Deutschland hat, weil nur Leute, die bereits finanziell schlecht gestellt sind, von solch drakonischen Strafen betroffen sein können oder kurz: Man wird bestraft fürs Arm sein! Profitieren tun von dieser Regelung lediglich die privaten Verkehrsbetreiber, deren Profite mit den Ticketpreisen finanziert werden, nicht die entsprechenden Kommunen und schon gar nicht die Fahrgäste. Zum Kontrast: Falschparken wird lediglich als Ordnungswidrigkeit mit 15€ – 25€ beziffert und kein Privatier verdient mit².

Das 9 €-Ticket zeigt, dass der Wille, Bus und Bahn zu nutzen, da ist. Es zeigt aber auch, dass vielerorts die entsprechende Infrastruktur für einen schnellen und komfortablen Nahverkehr noch fehlt und ausgebaut werden muss. Stattdessen werden Unsummen damit verschwendet, Tickets (und ihre Kontrolle), Gerichtstermine und Gefängnisaufenthalte zu finanzieren, anstatt den ÖPNV entgeltlos (ohne Tickets, etc.) und wirklich öffentlich organisiert zu gestalten, damit alle, und insbesondere Diejenigen, die auf ihn angewiesen sind, wirklich davon profitieren können. Mobilität ist ein Grundrecht, denn Mobilität ist ein Grundbedürfnis und darf kein Luxus sein. Es ist beschämend, dass etwas, worauf jeder Mensch, unabhängig vom Einkommen, angewiesen ist, einen Preis hat, den sich nicht jeder Mensch leisten kann. Wir sagen Nein zur Kriminalisierung von „schwarz“ Fahrenden!

Deshalb: Freie Fahrt mit Bus und Bahn!

Genoss:innen aus unserer Aachener Basisgruppe zeigen sich solidarisch und nehmen am Prozess am 29. Juni teil. Wer sich anschließen möchte: Treffpunkt ist um 9:30 Uhr am Landgericht, Adalbertsteinweg 92.

Quellen:

¹ BR24 | Bundesjustizminister will Schwarzfahren entkriminalisieren (veröffentlicht 13.02.2022)

² Süddeutsche Zeitung | Justiz in Deutschland: Viele Haftstrafen wegen Schwarzfahren (veröffentlicht 11.05.2022)

³ ZDF Magazin Royale | Fahren ohne Fahrschein: Unnötigste Straftat seit 1935 (veröffentlicht 03.12.2021)