Distanzierung von Sahra Wagenknecht

Distanzierung von Sahra Wagenknecht

Auf der letzten Landesvollversammlung der linksjugend [’solid] NRW wurde mit breiter Mehrheit beschlossen, dass sich der Landesverband von Sahra Wagenknechts Inhalten und der damit verbundenen Person distanziert.

Sahra Wagenknechts neues Buch „Die Selbstgerechten“ offenbart durch die getätigten Aussagen ein Gegenprogramm zum bisherigen Programm der LINKEN. Zwar beschreibt sie in vielen Punkten reale Situationen, wenn auch oft einseitig, kommt aber zu Schlussfolgerungen, die unserem Verständnis eines solidarischen und gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung widersprechen.

Besonders deutlich wird dies in ihrem Kapitel zu Migration. In mehreren Abschnitten geht sie auf die Frage mangelnder Ausbildungsplätze und Lohndumping ein und stellt diese in den Zusammenhang mit Migration. Es ist wahr, dass die Kapitalist*innen und ihre Vertreter*innen migrantische Kolleg*innen für Lohndumping nutzen und Fachkräfte aus dem Ausland abwerben. Aber welche Schlussfolgerungen zieht Wagenknecht daraus?

Wagenknecht bezieht sich positiv auf Ereignisse aus der Geschichte der Gewerkschaften, als diese sich gegen Zuwanderung positionierten. Als „positives“ Beispiel präsentiert sie zum Beispiel die Gewerkschaften in der Weimarer Republik, die sich dafür einsetzten, dass „inländische Arbeiter bei Einstellungen generell Vorrang besitzen sollten“ (S. 154), und dass die Gewerkschaften zusammen mit den Unternehmer*innen (!) Ausschüsse besetzten, die über die Einstellung von ausländischen Kolleg*innen entschieden (ebd.). Kurz darauf erklärt sie, dass Zuwanderung und die Einstellung nicht-deutscher Kolleg*innen den Zusammenhalt der Belegschaften und die Kampfkraft der Gewerkschaften schwächen würden, weil diese Kolleg*innen nicht gewerkschaftlich organisiert sind und auf Grund ihrer Herkunft niedrigere Ansprüche an Löhne und Arbeitsbedingungen haben (S. 155f.) Spätestens die Kinder dieser Arbeiter*innen würden anfangen andere Maßstäbe zu setzen, „aber eine solche Entwicklung braucht Zeit und setzt gute Integration und starke Gewerkschaften voraus“ (S. 156). Für Sahra Wagenknecht waren aber die Gewerkschaften stark, die in den 20er Jahren, migrantische Kolleg*innen in ihren Kampf nicht einbezogen.

Kurz darauf bezieht sie sich erneut positiv darauf, dass die Gewerkschaften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Beschäftigung von Zuwander*innen komplett verhinderten, nicht „weil sie rassistisch waren, sondern weil sie nur dann eine Chance hatten höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder durchzusetzen.“ (S. 157). Unserer Meinung nach gab und gibt es einen anderen Weg höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen: Der gemeinsame Kampf aller Kolleg*innen, egal ob in Deutschland geboren oder nicht, für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, verbunden mit dem Kampf für demokratische Rechte für alle, für soziale Gerechtigkeit und soziale Gleichheit im Allgemeinen. Dafür gibt es zahlreiche historische Beispiele, die von Wagenknecht nicht erwähnt werden. Zum Beispiel der wilde Streik bei Ford in Köln 1973, als hauptsächlich türkische Arbeiter*innen – Arbeitsmigranten erster Generation – einen Arbeitskampf initiierten. Die Auseinandersetzung begann als der Personalrat 300 türkische Kolleg*innen entließ. Kurz darauf streikten 8.000 Kolleg*innen, deutsche und türkische Arbeiter*innen, und forderten nicht nur die Wiedereinstellung der entlassen Kolleg*innen, sondern auch höheren Stundenlohn, ein 13. Monatsgehalt, langsamere Bandgeschwindigkeit und Verlängerung des Jahresurlaubs. Der wilde Streik scheiterte, weil die Gewerkschaft die Kolleg*innen nicht unterstütze. Der IG-Metall-Betriebsratsvorsitzende erklärte damals, dass die Radikalen aus der Universität ihren Tummelplatz aus der Universität zu Ford verlegt hätten. Weitere 100 Kolleg*innen wurden nach dem Streik gekündigt. Der IG-Metall geführte Betriebsrat legte nicht ein Mal Widerspruch gegen eine dieser Entlassungen ein.

Wagenknecht bezieht sich positiv auf die schwärzeste Politik der deutschen Gewerkschaften, statt einen Vorschlag für eine linke Gewerkschaftspolitik zu machen, die an die Lehren des wilden Streiks bei Ford ansetzt. Sie reproduziert die „Spalte und Herrsche“-Politik des bürgerlichen Establishments. Diese rückwärtsgewandte Tagespolitik wird nicht dadurch aufgehoben, dass Wagenknecht richtigerweise fordert, dass die Ursachen von Armutsmigration und Flucht bekämpft werden müssen.

Unsere Solidarität gilt allen Kolleg*innen, egal woher sie kommen, und wir verfolgen das Ziel einer besseren, sozialistischen Welt. Unser Denken hat keine Grenzen, im Gegensatz zu der von Sahra Wagenknecht.

Eine kritische Debatte über politische Inhalte sind wichtig und gehört zu einer gesunden basisdemokratischen Parteikultur genauso dazu, wie für viele der Kaffee zum Morgen. Allerdings richtet Sahra Wagenknecht ihre Kritik nicht mit einer solidarischen Intention an ihre Partei um daran zu wachsen, sie sucht bewusst nur die Öffentlichkeit und schadet im Endeffekt damit der Partei. Aufforderungen, ihre Thesen auf Parteitagen oder Veranstaltungen zur Diskussion zu stellen, ist sie bis heute nicht nachgekommen.

Ihre Kritik gegenüber der Identitätspolitik schlug in Sozialen Netzwerken hohe Wellen. Besonders ihre Aussage, dass Minderheiten „Ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden“ (S102). Damit werden nicht nur Personen diskreditiert, die Opfer rassistischer Beleidigungen oder bezüglich ihrer Sexualität angefeindet wurden. Es wird bewusst ignoriert, dass viele Minderheiten systematisch unterdrückt wurden oder noch werden, und erst in den letzten Jahrzehnten oder Jahren sich politisches Gehör verschaffen konnten. Diese „Skurrilen Minderheiten“ sind nicht im Laufe jahrzehntelanger Identitätspolitik entstanden, sie existieren und haben den Mut gefasst sich gegen Ausbeutung zu wehren. Dieser Kampf gehört unterstützt.

Dass Sahra Wagenknecht besonders in Hinblick der oben genannten Positionen auf Platz 1 der Bundestagsliste gewählt wird, ist der Beweis, dass eine selbstkritische Haltung essenziell ist, um unsere linken Positionen zu verteidigen. Die Mitgliedschaft der linksjugend [’solid] NRW wird weiterhin für eine LINKE streiten, die für radikale, sozialistische, feministische, anti-imperialistische und basisdemokratische Inhalte kämpft und sich nicht von den Grenzen des Kapitalismus einschränken lässt, sondern diese überwinden will.

Wir als linksjugend [’solid] NRW kämpfen weiterhin für eine grenzenlose Gesellschaft, für ein Ende des Kapitalismus, gegen jede Form von Diskriminierung und für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit.