Statement zur Krise in Thüringen: Empörung zu Widerstand! Sozialistische Politik und gemeinsame Kämpfe von unten nötig!

Statement zur Krise in Thüringen: Empörung zu Widerstand! Sozialistische Politik und gemeinsame Kämpfe von unten nötig!

Am Mittwoch, den 05. Februar, wurde der FDP-Fraktionsvorsitzende Kemmerich in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt und eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung dadurch verhindert. Die Empörung ist zurecht groß und es zeigt mal wieder, dass auf die bürgerlichen Parteien kein Verlass ist. Die gemeinsame Kooperation von AfD, CDU und FDP macht deutlich, dass die Parteien des Kapitals zusammen halten, um eine vermeintlich linke Regierung zu verhindern – egal wie sehr die LINKE Kreide geschluckt hat und sich dem bürgerlichen Establishment angepasst hat. Eins ist klar: Eine Politik, die von der CDU, FDP und AfD getragen wird, wäre unsozial, im Interesse der Banken und Konzerne und sie würde Spaltung und Rassismus tiefer in die Gesellschaft tragen.

Die Ereignisse dieses Mittwochs werden von der bürgerlichen Presse als „politisches Beben“ bezeichnet. Die herrschende Klasse und ihre politischen Repräsentant*innen sind in heller Aufregung. Die letzten Tage zeigen, dass sie an der Frage des Umgangs mit der AfD gespalten sind. Ein kleiner, aber wachsender Teil in Union und FDP will die Hürde für eine zukünftige Einbindung der AfD in Regierungsgeschäfte absenken. Sie ziehen die AfD einer noch so zahmen und angepassten LINKEN wie in Thüringen vor. Ein größerer Teil lehnt das bisher ab und fürchtet nun, dass dieses Manöver wie die „Peitsche der Konterrevolution“ zur Stärkung der Linken im Allgemeinen führen könnte. Teile der CDU und FDP versuchen nun, ihr Gesicht zu wahren und sich von dem Manöver in Thüringen zu distanzieren. Das heißt aber nicht, dass nicht auch in Zukunft die Herrschenden auf eine so rechte und arbeiter*innenfeindliche Partei wie die AfD noch setzen werden, wie wir es in den letzten Jahren mit der FPÖ in Österreich gesehen haben. Aber es zeigt, wie instabil das politische System geworden ist und dass den Herrschenden zunehmend ihre alten Regierungsoptionen ausgehen. Dass Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) in dieser Situation ihren Rücktritt als CDU-Vorsitzende angekündigt hat, lässt den Richtungsstreit in der Union nun voll entbrennen und offenbart die politische Krisensituation der Herrschenden.

Es wird nun davon gesprochen, dass FDP und CDU in Thüringen einen „demokratischen Konsens“ verlassen und einen Tabubruch begangen haben. Zwar haben sich FDP und Union zum Steigbügelhalter der AfD gemacht, indem sie die AfD erstmals in höhere politische Verantwortung gehoben haben. Damit haben sie erneut unter Beweis gestellt, wie viel die Bekenntnisse der etablierten Parteien wert sind. Aber der Aufstieg der AfD begann nicht erst am 5. Februar, sondern viel früher. Er ist ein Produkt der kapitalistischen Krise, der arbeiter*innenfeindlichen und unsozialen Politik im Interesse der Banken und Konzerne der letzten Jahrzehnte und des seit Jahren geschürten Rassismus durch bürgerliche Parteien und Medien. Der Ausverkauf der DDR, der Kosovo-Krieg, die Agenda 2010 und Hartz IV, die schwarze Null und die Verschärfung der Asylgesetze haben bundesweit die Situation der Arbeiter*innenklasse verschlechtert. Zukunftsängste haben in breiten Teilen der Bevölkerung zugenommen. Trotz des Wirtschaftswachstums der letzten Jahre gibt es in Deutschland Armut, Arbeitslosigkeit und den größte Niedriglohnsektor Europas verbunden mit einer Beschneidung der Rechte der Arbeiter*innen. Währenddessen gibt es eine absurde soziale Ungleichheit und werden die Reichen immer reicher. Und das alles innerhalb des angeblichen demokratischen Konsenses. Schuld an dieser Situation sind SPD, CDU, FDP und Grüne, die diese Politik umgesetzt haben. Die AfD kann sich jetzt als eine vermeintliche Anti-Establishment-Kraft präsentieren und trägt gleichzeitig Rassismus in die Gesellschaft. Dass ihr das in der Art gelingen kann, liegt auch an den Fehlern der LINKEN, die vor allem in Ostdeutschland viel zu oft keine radikale und linke Opposition gegen die kapitalistischen Verhältnisse ist und stattdessen diese mitverwaltet.

Während die Herrschenden das politische Chaos nicht in den Griff kriegen, profitiert die AfD weiter. Sie ist eine zutiefst arbeiter*innenfeindliche und reaktionäre Partei. Durch ihre Wahl von Kemmerich hat sie erneut gezeigt hat, dass sie das Label „Anti-Establishment“ nicht verdient hat und bereit ist einen Neoliberalen ins Amt zu heben. Sollte sie in Zukunft in Regierungen eintreten, werden harte Angriffe auf Lebensstandards der ganzen Arbeiter*innenklasse, demokratische Rechte und auf besonders unterdrückte Schichten die Folge sein. Die Wut und die Angst, dass dieser Zeitpunkt durch die letzten Tage und Wochen näher gerückt ist, sind absolut verständlich. Doch die Parallelen, die einige in den letzten Tagen zur Weimarer Republik und dem Aufstieg der NSDAP gezogen haben, stiften mehr Verwirrung als dass sie Klarheit schaffen. Ohne die reale Gefahr der AfD kleinzureden: Der Faschismus steht im Moment nicht vor der Tür.

Viele wünschen sich, die größtmögliche Einheit gegen die AfD und gegen das Manöver von CDU und FDP zu organisieren. Der beste Weg dafür sind gemeinsame Mobilisierungen und Kämpfe der arbeitenden Bevölkerung durch LINKE, antifaschistische Organisationen und Gewerkschaften. Diese dürften nicht allein dabei stehenbleiben, die AfD und ihren Rassismus abzulehnen, sondern müssten auch ein Programm aufzeigen, wie ihr der soziale Nährboden entzogen werden kann. Zentrale Forderungen dabei sind der gemeinsame Kampf – unabhängig von Herkunft und Hautfarbe – für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen, Mietensenkungen und Enteignung von Immobilienkonzernen, massive Investitionen in kommunalen Wohnungsbau, Verkehrswesen und Soziales… Solch eine Bewegung könnte eine enorme Anziehungskraft entwickeln und die Wähler*innenbasis der AfD unter Beschäftigten untergraben. Aber das ist nicht umzusetzen mit all den bürgerlichen Politiker*innen und Parteien, auch SPD und Grünen, die heute den Rücktritt von Kemmerich fordern, aber morgen durch ihre pro-kapitalistische Politik die AfD weiter stärken und die Interessen der Banken und Konzerne vertreten. LINKE und linksjugend [’solid] müssen mit der Orientierung auf SPD und Grüne brechen und eine Einheit gegen Rechts zusammen mit Gewerkschaften, anderen linken Organisationen und sozialen Bewegungen organisieren. Solch inhaltsleere Stellungnahmen, wie sie in Berlin von linksjugend [’solid] gemeinsam mit Jusos und Grüner Jugend veröffentlicht wurden, sind der absolut falsche Weg. (https://solid-berlin.org/news-3/)

Das gilt genauso für Regierungsbeteiligungen der LINKEN mit SPD und Grüne. Rot-Rot-Grün konnte den Aufstieg der AfD nicht stoppen. Obwohl R2G in Thüringen fünf Jahre an der Macht war, konnte Höckes AfD ihre Stimmen bei der Landtagswahl 2019 mehr als verdoppeln. Außer der LINKEN haben die Regierungsparteien Stimmen verloren. 35,1% der Thüringer*innen sind gar nicht erst wählen gegangen. Zuvor wurden schon die rot-rot-grünen Regierungskoalitionen in Sachsen und Brandenburg abgewählt und die AfD konnte gewaltige Gewinne feiern. Die Beteiligung der LINKEN an diesen bürgerlichen Regierungen mit SPD und Grünen hat die Situation der Mehrheit der Menschen nicht substanziell verbessert. Die LINKE hat ihr Programm immer weiter verwässert und ist eher ein Teil des Parteien-Einheitsbreis geworden. Die Mehrheit der Menschen ist zu Recht abgefuckt vom politischen Establishment, von korrupten Polit-Bonzen, die lügen und alles im Interesse der Banken und Konzerne tun. Wieso wählen, wenn sich unter SPD, CDU oder den Grünen eh nichts verändert? Die LINKE müsste die zentrale Anti-Establishment-Kraft sein, statt sich immer weiter an das politische Establishment anzubiedern.

In Thüringen als auch bundesweit braucht die LINKE ein sozialistisches Programm, dass sich u.a. für die Einführung eines kostenlosen ÖPNV und dem Ausbau des Schienenverkehrs, für die Beschlagnahme von Leerstand und die Enteignung großer Immobilienkonzerne, Mietsenkung und Deckelung, den Bau kommunaler Wohnungen, die Rekommunalisierung privatisierter Betriebe, eine Reichensteuer und vieles mehr stark macht. Direkt nach der Wahl in Thüringen hätte die LINKE solch ein Programm aufstellen sollen. Sie hätte ihren Anspruch erklären sollen, als alleinige Minderheitsregierung Anträge mit dieser Ausrichtung zur Abstimmung zu stellen. Mit einem solchen Programm könnte die LINKE klar machen, dass sie auf Seiten der einfachen Menschen steht und sich vom Einheitsbrei aus CDU, SPD, FDP und Grünen unterscheidet. Für ein solches Programm hätte sie auf den Straßen und in den Betrieben mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen kämpfen müssen. Aber im Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen mit SPD und Grünen hat die LINKE hingegen nicht ein solches Programm verfolgt. Eine R2G-Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow hätte im besten Fall fünf Jahre Stagnation bedeutet – Die LINKE hätte an Stimmen verloren und die AfD noch weiter zugelegt.

Unter dem Druck der unmittelbaren Proteste und der Empörung in breiten Teilen der Gesellschaft musste die FDP einen Rückzieher machen. Kemmerich ist – nach etwas Hin und Her – zurückgetreten. Dass Bernd Riexinger als LINKE-Vorsitzender dafür auf Twitter der FDP, also der kleinen Partei des großen Kapitals, „Respekt“ zollt, ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die unter der Politik dieser Reichen-Partei leiden. In der CDU Thüringen tobt ein Machtkampf: Ihr Vorsitzender Mohring hat seinen Rückzug angekündigt. Laut einer Forsa-Umfrage würde die Partei bei Neuwahlen nur noch auf 12 Prozent kommen (-10 Prozent im Vergleich zur letzten Landtagswahl). Die Vorsitzende der LINKEN Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, hat sich ebenfalls gegen Neuwahlen ausgesprochen. Während CDU und FDP täglich (oder teilweise stündlich) Steilvorlagen für eine bundesweite sozialistische Oppositionspartei liefern und die LINKE Thüringen in den Umfragen am meisten zulegt, zeigt die LINKE – vor allem in Thüringen – überhaupt keine Strategie oder Willen, dies zu nutzen, um die Verlogenheit bürgerlicher Politiker*innen und ihres politischen Systems insgesamt anzuprangern. Stattdessen bleibt man bei der Orientierung auf SPD und Grüne.

Es kann sein, dass Illusionen in Rot-Rot-Grüne Bündnisse unter dem Eindruck der aktuellen Ereignisse zunehmen – als wahrgenommene Alternative zu jenen, die bereit sind mit der AfD zu kooperieren. Gegen Rechts helfen aber nur wirklich sozialistische Politik und gemeinsame Kämpfe der Arbeiter*innenklasse. Es ist unklar, was in den nächsten Tagen passieren wird, ob es zu Neuwahlen kommt oder aber im jetzigen Parlament der Weg für einen neuen Ministerpräsidenten frei gemacht wird, was wahrscheinlich Bodo Ramelow sein würde.

Die LINKE hat in den letzten Tagen Unterstützung gewonnen, bundesweit gab es überdurchschnittlich viele Neueintritte. Dieser Trend könnte noch ungleich gesteigert werden. Doch dafür ist ein radikaler Kurswechsel der Partei notwendig. Wenn die LINKE mit R2G sofort weiter macht oder Bodo Ramelow im Wahlkampf wieder erklärt „Mich kann man mit drei Parteien wählen“, wird das die AfD nicht stoppen. Stattdessen muss die LINKE offensiv ein Programm im Sinne der Mehrheit der Menschen vertreten, wie dies oben skizziert wurde, und es mit dem Kampf für die Ersetzung des kapitalistischen Profitsystems durch eine sozialistische Demokratie verbinden. Sie muss jetzt selbstbewusst Neuwahlen einfordern statt das bestehende Parlament aufrechtzuerhalten und noch weiter auf die sogenannten „demokratischen Parteien“ zuzugehen – allein, um dadurch die FDP aus dem Landtag zu kicken und die CDU zu schwächen, aber auch um den Wahlkampf für Mobilisierungen auf der Straße und vor Betrieben zu nutzen. Sie müsste erklären, dass ihre Forderungen nicht verhandelbar sind; dass sie an der Seite von Bewegungen und Gewerkschaften dafür kämpfen wird, sie umzusetzen. Sie müsste alle Establishment-Parteien für ihre unsoziale Politik brandmarken. Auch SPD und Grüne. Und sie müsste ganz klar erklären, dass sie lieber das Gesetz bricht, als das Rückgrat der Armen.

Hinweis: Dieser Text wurde im wesentlichen vom Bundesarbeitskreis Revolutionäre Linke übernommen.