Statement zum jüngsten Antisemitismus-Vorwurf gegen uns

Seit mehreren Tagen führt die Türkei einen Invasionskrieg gegen Rojava, das kurdische Gebiet im Nordosten Syriens. Dagegen gibt es viele Proteste und Widerstandsaktionen. Als Sozialist*innen und Internationalist*innen sind wir selbstverständlich Teil davon. So waren auch Genoss*innen aus mehreren Basisgruppen am Samstag bei der landesweiten Demo in Köln. Die Demo richtete sich nicht nur gegen die türkische Invasion, sondern auch gegen deutsche Rüstungsexporte an die Türkei sowie gegen Imperialismus generell. Einer der beliebtesten Slogans war „Hoch die internationale Solidarität!“.

Uns ist gerade diese generelle Aussage wichtig. Es gibt an vielen Orten auf der Welt Unterdrückung nationaler oder religiöser Minderheiten. Wir verteidigen das Recht auf nationale Selbstbestimmung. Wir sind für die maximale Einheit der Arbeiter*innenklasse, um nationale, religiöse und ethnische Spaltung zu überwinden. Die Verteidigung des Rechts auf nationale Unabhängigkeit ist die Grundlage, um gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, zwischen den Arbeiter*innen unterdrückter und unterdrückender Nationen. Dabei erklären wir aber, dass der Kapitalismus das Grundübel ist, und immer wieder verschiedene und neue Formen der Spaltung reproduziert. In einem unabhängigen Staat in dem noch immer der Kapitalismus herrscht, werden im besten Fall nur die Unterdrücker gewechselt. Wenn wir das Recht auf nationale Selbstbestimmung verteidigen, verbinden wir dies immer mit dem Kampf gegen den Kapitalismus. Wenn wir uns für die nationale Unabhängigkeit eines Volkes aussprechen, verbinden wir dies immer mit der Perspektive einer freiwilligen sozialistischen Förderation. Vor diesem Hintergrund haben wir uns hinter einem Block eingereiht, in dem neben Kurdistan-Fahnen auch rote Fahnen der sozialistischen Bewegung sowie eine Fahne der „Antifa Enternasyonal“ und eine Palästina-Fahne vertreten waren.

Neben ein paar Bildern von unseren Genoss*innen wurde auch das Transparent dieses kleinen Blocks, der vor uns lief, mit dem Schriftzug „Palästina, Kurdistan – Intifada, Serhildan!“ bei Facebook gepostet. Darunter hat sich dann das Elend der sogenannten „antideutschen Linken“ ausgetobt und uns mit Antisemitismus-Vorwürfen überhäuft (Siehe https://www.facebook.com/ljs.nrw/posts/2664714290227549). Auch Gewaltdrohungen haben wir bekommen. Was hat es mit den Vorwürfen auf sich?

Zuerst mal ein paar Erklärungen zur Situation vor Ort und unserer Position:

Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen der Situation in Palästina und der in Kurdistan. Die Bevölkerungen beider Gebiete leiden unter (partieller) militärischer Besatzung, drastischer Repression, Fremdbestimmung und bitterer Armut. In beiden Fällen gibt es jahrzehntelangen Widerstand dagegen mit der Zielsetzung, in einem eigenen Staat das Leben selbst organisieren zu können. Es gibt auch Beispiele von gegenseitiger praktischer (auch militärischer) Hilfe zwischen linken kurdischen und palästinensischen Organisationen.

Es gibt aber auch Unterschiede, die wir nicht verschweigen wollen. Während in Kurdistan (zumindest im türkisch besetzten Teil und dem derzeit selbstverwalteten Rojava auf syrischem Staatgebiet) linke Kräfte tonangebend sind, sind sie in Palästina kleiner. In Gaza regiert die rechtsextreme, antisemitische Hamas, während die nicht israelisch besetzten Teile des Westjordanlandes von der eher sozialdemokratischen, säkular eingestellten Fatah regiert werden. Die Hamas ist international politisch relativ isoliert, die Fatah hingegen ist Mitglied der sogenannten „Sozialistischen Internationale“ und damit Schwesterorganisation der SPD.

Wir sehen sowohl in der Hamas als auch in der Fatah Hindernisse im Kampf um Selbstbestimmung der Palästinenser*innen. Die einen biedern sich der Besetzungsmacht Israel an, die anderen tun, was sie können, um grenzüberschreitenden Kampf an Klassenlinien zu unterbinden. Die regelmäßigen Anschläge von Hamas und verbündeten Kräften treffen vor allem die israelische Arbeiter*innenklasse. Und sie legitimieren in deren Augen die Aufrüstungs- und Eskalationspolitik der rechtsextremen Netanjahu-Regierung, die Wiederum mit ihrer Unterdrückungspolitik der Hamas die Möglichkeit bietet, sich als Vorkämpferin gegen Imperialismus darzustellen und somit Sympathien in der palästinensischen Bevölkerung zu genießen.

Unsere Alternative dagegen ist der gemeinsame Kampf an Klassenlinien, beispielsweise in Arbeitskämpfen. So kommt es beispielsweise in Haifa immer wieder zu gemeinsamen Kämpfen von jüdischen Israelis, arabischen Israelis und Palästinenser*innen, die in den gleichen Unternehmen arbeiten. Das sollte durch den Aufbau einer sozialistischen Kraft in Israel und Palästina unterstützt werden, die gezielte Anstrengungen unternimmt, soziale Kämpfe zusammen zu führen.

Dieser Text soll sich nicht in erster Linie damit beschäftigen, wie unsere Strategie für eine sozialistische Perspektive in Nahost aussieht. Deswegen bleibt es jetzt relativ oberflächlich. Vor einigen Jahren hatten wir dazu einen Diskussionsprozess, in dem auch dieser Text der Aachener Basisgruppe als Landesverbandsposition beschlossen wurde: http://linksjugendsolidaachen.blogsport.de/…/gegen-krieg-i…/

Zurück zur Demo in Köln. Was soll der Slogan „Palästina, Kurdistan – Intifada, Serhildan!“ mit Antisemitismus zu tun haben?

Intifada ist arabisch und bedeutet in etwa „sich erheben“ oder „abschütteln“ (bezogen auf die Besatzung). Der Begriff wird verwendet für den Aufstand gegen die Unterdrückung der Palästinenser*innen und wurde geprägt durch die soziale Explosion 1987, in der Hunderttausende Palästinenser*innen mit Massendemonstrationen gegen Polizei- und Militärrepression sowie die schlimme soziale Situation in Palästina kämpften. Dabei kam es auch zu teils heftigen Kämpfen mit dem israelischen Militär. Dennoch griff der Aufstand teilweise auch auf Israel über, wo sich Tausende solidarisierten.
Serhildan ist kurdisch und bedeutet in etwa „den Kopf erheben“ und steht ähnlich wie die Intifada für den Kampf gegen Unterdrückung und für Selbstbestimmung. Der Begriff geht auf teils militante kurdische Kämpfe in den kurdischen Gebieten auf türkischem Staatsgebiet seit den 1990er Jahren zurück.

Auch wenn dieses Banner auf der Demo nicht von uns kam, finden wir die Aussage doch sehr sympathisch. Denn sie zeigt auf, dass Sozialist*innen sich prinzipiell auf die Seite von Unterdrückten stellen.

Wir können nur vermuten, was daran antisemitisch sein soll:
– Meinen diese sogenannten „Antideutschen“, dass Palästinenser*innen (oder Araber*innen allgemein) an sich antisemitisch wären? Wir werden den Eindruck nicht los, dass es diesen Trend in dieser Szene gibt. Das wäre eine sehr rassistische Denkweise.
– Oder glauben sie, eine Solidarisierung mit dem palästinensischen Befreiungskampf wäre eine Solidarisierung mit der Hamas oder ähnlichen Unsympathen? Das würde eine sehr obrigkeitstreue Denkweise entlarven. Leider ist das sehr naheliegend, da einige Kommentare darauf hinwiesen, dass Netanyahu sich verbal mit den Kurd*innen solidarisiert habe, während Teile der palästinensischen Elite sich mit Erdoğan solidarisierten. Uns ist eine solche Denkweise fremd. Wir solidarisieren uns allgemein mit den unterdrückten Massen und explizit mit den linken Kräften, die dort unter sehr schwierigen Bedingungen versuchen sozialistische Ideen zu verbreiten.

Ganz schnell wurde auch unterstellt, wir würden die Vernichtung Israels oder gar die Ermordung von Jüd*innen fordern. Was für ein Bullshit! Von sowas können nur Leute ausgehen, die nicht in der Lage sind nationalistische Parolen beseite zu wischen und eine prinzipielle Gleichbehandlung einzufordern. Es zeigt schon eine krasse Verbortheit, wenn man aus der Forderung „Freiheit für Palästina!“ (genau das bedeutet der Begriff „Intifada“) „Vernichtung von Israel“ oder gar „Jüd*innen töten!“ heraus liest. Unser Vorschlag, um den Nationalismus und Rassismus auf beiden Konfliktseiten zu bekämpfen: Gemeinsame Mobilisierungen von jüdischen Israelis, arabischen Israelis, Palästinenser*innen und allen anderen Minderheiten für gemeinsame soziale Interessen wie guten Lohn, bezahlbaren Wohnraum, gewerkschaftliche Rechte etc. Und natürlich gegen Krieg und Militarismus, gegen Besatzungs- und Siedlungspolitik, gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Kapitalismus. Wir treten ein für eine Zwei-Staaten-Lösung auf sozialistischer Grundlage, solange es Vorbehalte oder Sorgen gibt und Staaten als notwendige Schutzräume angesehen werden.

Bei der Demo in Köln waren ähnliche Ideen gut vertreten, im Gegensatz zu diesen „Antideutschen“, die jetzt auf Facebook rumhaten. Es waren zwei Israel-Fahnen zu sehen, und permanent waren Demo-Teilnehmer*innen bei den Träger*innen und haben sich über diese Fahnen auf einer Demo gegen imperialistische Aggression beschwert. Die handvoll zionistische Mitglieder aus unserem Verband haben sich nach wenigen hundert Metern aus der Demo ausgeklinkt.

Wir würden uns auch bei der nächsten Demo wieder bei anderen sozialistischen Kräften einreihen, die die roten Farben der sozialistischen Arbeiter*innenbewegung tragen und für einen proletarischen Internationalismus einstehen.

Trotzdem noch ein Wort zu dem Transpi: Es wurde nur wegen einem Kommunikationsfehler bei uns gepostet. Es war nicht das Fronttranspi unseres Blocks, sondern von einer anderen Gruppe. Wir wollen uns nicht mit fremden Lorbeeren schmücken, von daher die Klarstellung.