Das Märchen von der Autonomie

Die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat im Januar 2018 ein Eckpunktepapier für die Novellierung des Hochschulgesetzes in NRW veröffentlicht. Trotz Widerstands seitens der Studierenden, der Personalräte und der Gewerkschaften hat die Landesregierung bisher an fast allen kritischen Punkten festgehalten und im Dezember 2018 den Regierungsentwurf[1] des Gesetzes veröffentlicht. Wir nehmen diese Entwicklung zum Anlass, unsere hochschulpolitischen Forderungen mit Bezugnahme auf das geplante Hochschulfreiheitsgesetz nochmals zu betonen und auszubauen.
Entsprechend der folgenden Begründung unterstützen wir die vielfältigen Formen des Protestes gegen das geplante Hochschulgesetz und nehmen es uns zur Aufgabe, den Protest zu vergrößern, um die geplanten Änderungen gänzlich abzuwenden. Wir werden weiterhin dafür kämpfen, die Hochschule und damit auch die bestehenden Hochschulgesetze so zu verändern, dass sie zu einer demokratischen, offenen, inklusiven, antirassistischen, antikapitalistischen und antisexistischen Hochschule im Dienste der Gesamtgesellschaft wird.

1. Die geplante Novellierung des Hochschulgesetzes – Inhalt und Kritik

1.1 Studienalltag
Das neue Hochschulgesetz soll die Wiedereinführung von Anwesenheitspflichten ermöglichen. Dies erschwert gerade für Studierende, die neben dem Studium arbeiten, Angehörige und Kinder pflegen sowie ehrenamtlich engagiert sind, den Studienalltag erheblich. Des Weiteren werden für bestimmte Fächergruppen (Rechtswissenschaften, MINT) verpflichtende Selfassessment-Tests im Zuge der Bewerbung an einer Hochschule möglich. Die Ergebnisse dieser Tests sind zwar irrelevant für die Zulassung, erhöhen aber noch vor Beginn des Studiums den Druck auf die Bewerber*innen und werden vor allem Studienbewerber*innen aus Familien mit nicht-akademischem Hintergrund vermehrt abschrecken. Die Einführung solcher zunächst scheinbar folgenloser Regelungen kann außerdem in ein paar Jahren als Türöffner genutzt werden, um das Bestehen der dann schon vorhandenen Tests doch noch zur Zulassungsvoraussetzung zu machen. Dies gilt es unbedingt zu verhindern. Es ist zusätzlich geplant optionale Studienverlaufspläne in dem Hochschulgesetz zu verankern. Hierdurch wird es für Hochschulen möglich, verpflichtende Studienverlaufspläne individuell mit den Studierenden abzuschließen und eine Nicht-Einhaltung dieser „Verträge“ zu sanktionieren. Dies ist ein unnötiges Mittel, um den Druck auf die Studierenden zu erhöhen. Die Konsequenz sind weniger Raum der Studierenden für die Beteiligung an einer demokratisch organisierten Hochschule und Gesellschaft, die Zunahme von psychischen Krankheiten[2] sowie der Ausschluss aus dem Hochschulsystem von Studierenden, die diesem Druck aus verschiedenen Gründen nicht standhalten können.

1.2 Demokratische Hochschulorganisation
Momentan ist im Hochschulgesetz NRW der Anspruch verankert, dass der Senat, das höchste demokratisch gewählte Gremium der Hochschule, paritätisch besetzt sein soll. Das heißt, dass alle Statusgruppen (Studierende, Mitarbeiter*innen in Technik und Verwaltung, Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Professor*innen) den gleichen Stimmenanteil haben. Es gibt einige Möglichkeiten diesen Anspruch zu umgehen, was in der Praxis meist zu einer absoluten Mehrheit der Professor*innen im Senat führt. Grundsätzlich ist das Ideal der paritätischen Besetzung aber richtig und sollte durchgesetzt werden. Die momentane Landesregierung möchte das allerdings aufheben. Das Demokratieverständnis der Landesregierung erinnert an das Ständesystem, in dem nur der Stand der winzigen Minderheit der Professor*innen tatsächliche Entscheidungsgewalt hat. Wir sollten den 1968 aufgeflammten Gedanken einer demokratischen Hochschule fortführen und ausweiten, statt das bisschen Mitbestimmungsmöglichkeiten, das es momentan für Studierende und Arbeiter*innen an der Hochschule gibt, mit den Füßen zu treten, wie es die Landesregierung plant.

1.3 Arbeit an der Hochschule
Im bisherigen Hochschulgesetz sind der Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen sowie eine Vertretung der studentischen Hilfskräfte (SHK-Räte) vorgesehen. Beides sind keine direkten Mittel zu Verbesserung der Arbeitsbedingungen an der Hochschule. Es sind allerdings Räume, die diese ermöglichen. So kann der SHK-Rat genutzt werden, um studentische Hilfskräfte zu vernetzen, zu organisieren und gemeinsam Forderungen an das Rektorat als Arbeitgeber vorzutragen. Der Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen enthält die Verpflichtung der Evaluation der Arbeitsbedingungen an der Hochschule. Dies ist für die Personalräte eine Möglichkeit direkt in Verhandlungen mit dem Rektorat zu treten und ihre Forderungen vorzubringen. Beide Mittel sind bei weitem nicht ausreichend, um in Zukunft die Arbeitsbedingungen Aller an der Hochschule gut zu gestalten. Dass der Rahmenkodex komplett gestrichen werden soll und die Vertretung der studentischen Hilfskräfte nicht mehr für alle Hochschulen ein verpflichtend einzurichtendes Gremium ist, sollte dementsprechend ganz klar „als Signal verstanden werden, dass der Gesetzgeber kein Interesse an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen an Hochschulen hat.“[3]

1.4 Verhältnis Land und Hochschule
Die geplanten Änderungen werden mit den Stichworten „Freiheit“ und „Autonomie der Hochschulen“ begründet. Hierbei kommen vor allem zwei Aspekte zum Tragen. Zum einen sind fast alle Regelungen optional. Die Hochschulen können einzeln entscheiden, ob sie Studienverlaufspläne einführen oder den SHK-Rat abschaffen wollen. Zum anderen wird der Landeshochschulentwicklungsplan künftig nicht mehr gemeinschaftlich zwischen allen Hochschulen und dem Land im Konsens verhandelt, sondern individuell zwischen Hochschule und Land. Diese Neuerungen legen ein Verständnis von Autonomie und Freiheit zu Tage, das dem unseren widerspricht. So hat Hochschulautonomie mit gleichzeitiger Aushebelung der demokratischen Strukturen innerhalb der Hochschulen höchstens die Autonomie der Rektorate zur Folge. Aber auch diese Autonomie wird durch die Konkurrenz unter den Hochschulen um Finanzierung und Drittmittel ausgehebelt. Dass sich das Land aus der internen Organisation der Hochschulen zurückzieht, hat in der momentanen Verfasstheit der Hochschulen und deren Finanzierung zur Folge, dass in Zukunft verstärkt der „freie Markt“ die Hochschulen zur Einführung der konformsten und in diesem Sinne effizientesten Regelungen zwingt. Demokratische Strukturen, gute Arbeitsbedingungen und soziale Gerechtigkeit stehen dieser Form von Effizienz im Wege und werden über Kurz oder Lang dem Konkurrenzdruck weichen müssen. Bei dem Freiheitsverständnis der Landesregierung geht es also schlichtweg um die Freiheit sich den kapitalistischen Gegebenheiten zu beugen.

1.5 Zivilklausel
Mit der Streichung der landesweit verankerten Zivilklausel aus dem Hochschulgesetz zeigt die Landesregierung besonders deutlich, in wessen Interesse sie handelt. In eben dieser Klausel heißt es: „Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach.“[4] An die Stelle einer allgemeinverbindlichen Regelung sollen nun individuelle Bekenntnisse treten. Dies schafft einen unnötigen Konflikt, in dem moralische Fragen auf einzelne Forschende abgewälzt werden, denn im Zweifelsfall müssen sich Forschende zwischen Rüstungsforschung und Arbeitslosigkeit entscheiden. Hinzu kommt der allgemeine ökonomische Druck auf die Hochschulen, der in der Tendenz dazu führt, dass vermehrt Drittmittel der Rüstungsindustrie bezogen werden. Beides höhlt im Grunde die Möglichkeit zum individuellen Bekenntnis aus. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine Abkehr von Frieden, Demokratie und Nachhaltigkeit in Zeiten der Kriege, der Zunahme an autoritären Diktaturen und des Klimawandels politisch schwerwiegend unverantwortlich und dazu noch zynisch ist. Wir wehren uns gegen die Pläne, die Hochschulen zu Zuarbeitern der Rüstungsindustrie im Interesse der deutschen Aufrüstungspolitik zu machen.

2. Warum und wie gegen das Hochschulgesetz kämpfen?

Hochschulen sind im Rahmen der Hochschulreformen, insbesondere durch den Umbau zur unternehmerischen Hochschule, bundesweit zu Lernfabriken geworden, die ‚Studierte‘ produzieren sollen. Neoliberales Denken ist hegemonial und die Lernmethoden beschränken sich häufig auf autoritären Frontalunterricht. In einer solchen Situation ist die Kritik der gegebenen Verhältnisse notwendig, um neoliberales Denken zurückzudrängen, kritische Denker*innen auszubilden und das Gefühl von Ohnmacht gegenüber den Verhältnissen zu vernichten.
Unser Ziel als sozialistischer Jugendverband ist es, eine Hochschule zu schaffen, die in der Lage ist, den Sozialismus und den Weg dorthin vorzudenken und vorzubereiten. Das bedeutet zum Einen einen massiven Ausbau an kritischen Professuren zu fokussieren und zum Anderen den Austausch mit den Studierenden und Arbeiter*innen an der Hochschule zu suchen. Die Hochschulmitglieder sollen zur eigenen Emanzipation ermutigt und angeleitet werden[5], so dass die Hochschule von einer elitären Einrichtung der Ober- und Mittelschicht in einen demokratisch organisierten Lern- und Forschungsort der Gesamtgesellschaft umgewandelt werden kann.
Studierende haben sehr geringe Gestaltungsberechtigung an der Hochschule. Gerade das Studierendenparlament, wie auch der Allgemeine Studierenden Ausschuss (AStA) sind keine in die Hochschule integrierten Gremien und haben keinerlei faktische Entscheidungsmacht über hochschulpolitische Entwicklungen. Trotzdem sind diese Strukturen aber die ersten Früchte eines 1968 losgetretenen Kampfes. Das damals wie heute angestrebte Ziel ist eine umfangreiche Demokratisierung der Hochschule. Diese muss einhergehen mit finanzieller Unabhängigkeit der Hochschulen von der Wirtschaft.
Diesen Zielen steht das geplante Hochschulgesetz diametral entgegen. Es reiht sich ein in eine lange Liste von Gesetzen, die in den letzten Jahrzehnten Lebens- und Arbeitsbereiche, die traditionell öffentlich organisiert waren, der kapitalistischen Marktlogik unterworfen haben. Der Zugang zu den Hochschulen wird für die Nicht- und Wenig-Besitzenden erschwert und für Rüstungs- und andere Konzerne erleichtert, während kritischem Denken und Engagement noch weniger Raum zugestanden werden soll. Das Hochschulgesetz ist nicht nur für aktuell Studierende ein Rückschlag, sondern auch ein Spiegel des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks auf die Hochschule, der bisher in der Öffentlichkeit kaum Beachtung findet. Die Absage an Demokratie, Frieden, Nachhaltigkeit und gute Arbeitsbedingungen in Verbindung mit der verstärkten Einführung von Sanktionen als autoritäres Erziehungsmittel werfen uns in dunkle Zeiten zurück. Es liegt an uns, das zu verhindern, indem wir die Proteste gegen das Hochschulgesetz nach unseren Möglichkeiten unterstützen und ausweiten, Aufklärungsarbeit leisten und zu zentralen Aktionen mobilisieren.

1: https://www.mkw.nrw/hochschule/hochschulrecht/hochschulgesetz/
2: Vgl. Ärztereport der Barmer: https://www.barmer.de/presse/infothek/studien-und-reports/arztreporte/ba…
3: Vgl. Stellungnahme Landespersonalrätekonferenz: https://hochschulblog-nrw-dgb.de/sites/default/files/Stellungnahme%20LPK…
4: §3 Abschnitt 6 des aktuellen Hochschulzukunftsgesetzes NRW
5: Wie? Vgl.: Williams, Steve: Fordert Alles. Lehrern aus dem Transformativen Organizing. Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. New York. März 2013

Dieser Text wurde auf der Landesvollversammlung am 2.3.2019 in Bochum beschlossen.