Esther Bejarano ist verstorben. Ein Nachruf

Esther Bejarano ist verstorben. Ein Nachruf

In der Nacht auf Samstag ist Esther Bejarano verstorben. Die 96-jährige war eine beeindruckende Kämpferin gegen Faschismus, Krieg und Unterdrückung. Sie ist für uns Inspiration und Vorbild. Wir setzen ihren Kampf fort!

Esther Bejarano wurde Ende 1924 als Esther Loewy in Saarlouis geboren. Im jungen Alter von acht Jahren musste sie die Machtübertragung an die faschistische NSdAP unter Adolf Hitler miterleben. Schon bald mehrten sich antisemitische Übergriffe, unter denen auch die Familie Loewy zu leiden hatte. Parallel gingen die faschistischen Kräfte gegen jegliche Opposition vor – besonders Sozialdemokrat:innen, Kommunist:innen und Gewerkschafter:innen und ihre Organisationen wurden nach Möglichkeiten physisch zerschlagen. Damit sollte jeder mögliche Widerstand im Keim erstickt werden.

Die Familie Loewy wechselte unter dem zunehmenden antisemitischen Druck zwar den Wohnort, allerdings gelang eine Ausreise nicht. Ende der 1930er Jahre wurde die Familie auseinandergerissen. Esther musste bei Fleurop in Fürstenwalde Zwangsarbeit leisten, während ihre Eltern und eine Schwester ermordet wurden (was Esther aber erst nach dem Kriegsende erfuhr). Es folgten Deportationen in die Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück, wo sie dank ihrer musikalischen Begabung etwas weniger bestialisch behandelt wurde als viele andere Inhaftierte. Trotzdem erkrankte sie aufgrund der schlimmen Haftbedingungen und der Unterversorgung mehrfach schwer. Auch während der Zeit in den Konzentrationslagern wurde sie zur Zwangsarbeit herangezogen, diesmal für Siemens.

Kurz vor Kriegsende wurde Esther Loewy gezwungen, an den berüchtigten Todesmärschen teilzunehmen. Dabei mussten die durch Unterernährung, unmenschliche Haftbedingungen und Überarbeitung völlig entkräfteten KZ-Häftlinge enorme Strecken in kurzer Zeit zurücklegen. Viele überlebten die Tortur nicht. Esther gelang mit mehreren Freundinnen jedoch die Flucht.

Am 3. Mai 1945 erlebte Esther Loewy ihren „zweiten Geburtstag“: Lübz, wo sie sich versteckt hielt, wurde von Soldaten der US-Armee befreit. Wenige Tage später erreichte die Rote Armee Berlin und zwang die faschistischen Kräfte zur bedingungslosen Kapitulation.

Nach dem Krieg versuchte Esther Loewy Familienmitglieder zu finden. Dabei musste sie auch von der Ermordung ihrer Eltern erfahren. Lebende Verwandte konnte sie in Deutschland nicht finden. Sie erfuhr jedoch von einem Bruder in den USA und einer Schwester in Palästina. Sie machte sich ebenfalls auf nach Palästina.

Dort blieb sie mehrere Jahre, arbeitete, bildete sich weiter und wurde zum israelischen Militärdienst eingezogen. Dabei wandte sie sich gegen radikal-zionistische Vorstellungen, wie sie in Teilen der Exil-jüdischen Community vorherrschten und die schon bald den neuen Staat Israel prägen sollten. Stattdessen arbeitete sie, absolvierte ein Gesangsstudium und begann sich auch politisch zu engagieren: Mit ihrem musikalischen Hintergrund trat sie bald einem Arbeiter:innenchor bei und näherte sich weiter kommunistischen Ideen an. Zu dem Zeitpunkt lernte sie auch ihren Mann Nissim kennen, dessen Namen Bejarano sie annahm und mit dem sie zwei Kinder bekam.

Sowohl Esther als auch Nissim Bejarano bekamen wegen ihrer kommunistischen und gewerkschaftlichen Tätigkeiten in Israel berufliche Probleme. Nachdem Nissim 1956 – entgegen seiner Überzeugung – im Sinaikrieg dienen musste entschlossen sich die beiden, Israel zu verlassen. Ihr Weg führte die beiden über Italien und die Schweiz zurück nach Deutschland. Sie ließen sich 1960 in Hamburg nieder, was bis zu ihrem Tod die Heimat der beiden war.

In Hamburg nahm auch das politische Engagement deutlich zu. Esther Bejarano schloss sich der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) an. 1990 wurde sie dort Bundessprecherin, seit 2008 war sie Ehrenvorsitzende. Mitte der 1980er Jahre gründete sie außerdem das Auschwitz-Kommitee, das sich dem Schwur von Buchenwald verpflichtet fühlt: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Wie die Widerständigen im KZ Buchenwald erkannte auch Esther Bejarano, dass Faschismus, Krieg und Unterdrückung aus einem Grundübel entspringen: Dem Kapitalismus. Sie zog die richtigen Schlussfolgerungen und wurde Kommunistin. Entsprechend engagierte sie sich nicht „nur“ gegen alte und neue Nazis, sondern auch gegen Militarismus und Krieg. Eine Herzensangelegenheit war ihr aber auch der Kampf gegen die Unterdrückung und Entrechtung der Palästinenser:innen. Dafür wurde sie von Teilen der sich selbst links verstehenden „Antideutschen“ angegriffen – und reagierte sehr deutlich: „Es ist ganz besonders wichtig, dass alle in Deutschland, in denen ein menschliches Herz pocht, endlich erkennen, dass Kritik an der Politik Israels nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen ist. Ich habe nicht das Vernichtungslager Auschwitz, das KZ Ravensbrück und den Todesmarsch überlebt, um von sogenannten „Antideutschen“ und Konsorten als „Antisemitin“ beschimpft zu werden.“ Dieser Teil Esther Bejaranos politischer Einstellung wird leider in vielen Nachrufen ausgelassen.

Esther Bejarano musste sehr viel Leid erfahren – und kämpfte viele Jahrzehnte für eine menschliche Zukunft, wie sie im Kapitalismus unmöglich ist. Oft mit Worten oder Liedern, aber selbst in hohem Alter konnte man sie noch auf Demonstrationen antreffen. Jetzt kann sie nicht mehr kämpfen.

Manche Genoss:innen hatten die Ehre, Esther Bejarano persönlich kennen zu lernen. Und viele mehr hat sie geprägt. Wir kämpfen weiter, bis unser gemeinsames Ziel Wirklichkeit ist: Eine neue Welt des Friedens und der Freiheit.