Sozialist*innen ins Parlament? Wahlkampf zum Klassenkampf machen!

Sozialist*innen ins Parlament? Wahlkampf zum Klassenkampf machen!

Am 13. September 2020 finden in NRW die Kommunalwahlen statt. Für uns als Jugendverband der LINKEN stellt sich damit automatisch die Frage: Wie können wir zu einem guten Abschneiden der Partei beitragen? Aber das ist nicht die einzige Frage. Wir wollen uns grundsätzlich mit der Frage auseinandersetzen, wie wir zu einer sozialistischen Gesellschaft kommen, welche Rolle Parlamente und die Arbeit von Sozialist*innen darin dabei spielen und wie gut die LINKE diese Rolle ausfüllt bzw. wo sie Schwächen hat.

Zu Beginn wollen wir eine Wahrheit feststellen: Wirkliche Veränderungen kommen nicht aus dem Parlament.

Auf Kapital-Seite werden Pläne für gesellschaftliche Entwicklungen von rechten Thinktanks entwickelt und in Branchenverbänden, den Chefetagen der Konzerne und auf den Treffen der Eliten beschlossen. Lobby-Organisationen schreiben nicht selten voll ausformulierte Vorlagen für Gesetzestexte, die genau das Interesse der Gruppen oder Fraktionen, die sie vertreten, spiegeln. Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist mildert sie zwar manchmal ab, beispielsweise um allzu großen Unmut in der Arbeiter*innenklasse zu verhindern, sofern die Situation diesen Spielraum gibt, oder um einzelne Konzern- oder Brancheninteressen mit denen anderer zu harmonisieren. Aber er agiert nicht als interessenloser Schiedsrichter, sondern er ist der Staat der Kapitalisten. Dabei hat er auch immer den internationalen Wettbewerb sowie die organisatorische und politische Stärke der Arbeiter*innenbewegung als wesentliche Einflussfaktoren im Blick.

Die Arbeiter*innenbewegung hat vielfach die Erfahrung gemacht, dass das bürgerliche Parlament nicht mit ihr verbündet ist. Zwar können immer wieder Verbesserungen durchgesetzt werden, oft nach langer und intensiver Kampagne-Arbeit. Die Zustimmung im Parlament ist dabei aber meist nur Theater – im Hintergrund haben Wirtschaftsbosse und Lobbyist*innen ihr OK gegeben.

Wir unterscheiden uns sowohl im Wahlkampf, als auch in unserer Idee von parlamentarischer Arbeit grundsätzlich von den im Rahmen der Systemregeln gefangenen Vorstellungen aller bürgerlichen Kräfte. Wir kritisieren auch reformistische Vorstellungen, wie sie in der Arbeiter*innenbewegung vorkommen. Dagegen meinen wir, dass Sozialist*innen im Parlament ein Megaphon für Soziale Bewegungen, kämpfende Arbeiter*innen, von Diskriminierung Betroffene und vor allem Ideen einer sozialistischen Gesellschaft sein müssen. Wir sehen parlamentarische Arbeit als Teil einer Strategie zur Überwindung des Kapitalismus. Im Wissen, dass DIE LINKE und die meisten ihrer Vertreter*innen weit entfernt davon sind, diese Strategie zu teilen, finden wir es dennoch richtig, Wahlkampf für die Partei zu machen, wenn auch einen etwas anderen Wahlkampf. Im Folgenden skizzieren wir, wie unserer Meinung nach Sozialist*innen im Parlament arbeiten sollten und vergleichen das mit der Arbeit der LINKEN.
Sozialist*innen im Parlament
In der Regel fordern soziale Bewegungen, Gewerkschaften, marginalisierte Gruppen etc. Reformen in ihrem Interesse bzw. im Interesse der Gruppen, die sie vertreten. Das heißt, dass Parlamente der Ort sind, an denen formell über ihre Forderungen entschieden wird. Im Parlament finden sie dabei Unterstützung vor allem bei der LINKEN. Auch wenn Druck über Demonstrationen, Streiks und andere außerparlamentarische Kampfformen aufgebaut werden kann, hat das Fehlen linker Kräfte im Parlament eine dämpfende Wirkung auf solche Bewegungen.

Das Parlament hat eine enorme Öffentlichkeitswirkung. Vor allem bürgerliche Medien berichten von Debatten, Gesetzesinitiativen etc. ausführlich und erreichen damit ein Millionenpublikum. Selbst einzelne Abgeordnete können eine große Reichweite erzielen (Beispiel: Sonneborn im EU-Parlament), ganze Fraktionen noch viel deutlicher. Gibt es linke Parlamentarierer*innen, die sich als Vertretung der Arbeiter*innenbewegung sehen, können sie diese aufmerksamkeitsreiche Position nutzen, um Forderungen der Arbeiter*innenbewegung zu verstärken bzw. Debatten anzuregen, die in der Klasse bisher fehlen. Sie können mit ihrer Position Kämpfe konkret unterstützen, beispielsweise mit Solidaritätserklärungen, Besuchen bei Streikposten oder dem Aufbau von Soli-Strukturen.

Mit parlamentarischer Arbeit gehen auch enorme Ressourcen einher. Das ist zweischneidig: Die völlig überdimensionierten Diäten haben einerseits die Wirkung, Abgeordnete von der Lebensrealität der Wähler*innen zu entzweien und mehr Verständnis für die „Sorgen“ und „Nöte“ der Reichen zu entwickeln. Deswegen setzen wir uns für die Abgabe aller Einkünfte, die über ein durchschnittliches Facharbeiter*innengehalt hinausgehen, an die Partei ein. Gleichzeitig finanziert der Staat Abgeordneten Büros und einen Stab von Mitarbeiter*innen, die natürlich mehr machen können als nur parlamentarische Unterlagen zu wälzen. So können parlamentarische Posten eine praktische Stütze beim Wiederaufbau der Arbeiter*innenbewegung sein. Auf Staatskosten können Bildungsreisen organisiert werden, wo große Gruppen von Menschen mit politischer Bildung versorgt werden. Fraktionen können Konferenzen organisieren, die Akteure aus spezifischen Bewegungen, beispielsweise Aktivist*innen gegen teure Mieten oder für mehr Personal in Krankenhäusern, zusammenbringen. Sie können so objektiv dazu beitragen, Erfahrungen aus der Arbeiter*innen- und sozialen Bewegungen zu verbreiten und so zu verhindern, dass negative Erfahrungen mehrfach gemacht werden müssen.

Während wir einerseits die durch Parlamentsarbeit gewonnenen Ressourcen nutzen, dürfen wir uns nicht davon abhängig machen, müssen ein Bewusstsein für weitere Finanzierungswege wie Mitgliedsbeiträge, Dauerspenden oder Spendendosen bei Infotischen hoch halten, um bei einem möglichen Entzug staatlicher Finanzierungen oder gar einem Verbot nicht wegen fehlender Finanzen in die Bedeutungslosigkeit gestürzt zu werden.

Gleichzeitig sind Sozialist*innen und ihre Organisationen oft Kriminalisierung ausgesetzt. Parlamentarier*innen können dank ihrer größeren Reichweite und mit ihren Ressourcen dagegen vorgehen. Sie genießen besonderen Schutz und besondere Rechte. Beteiligen sich Abgeordnete an Blockaden gegen Fascho-Aufmärsche, an Hausbesetzungen oder an anderen, teils kriminalisierten Aktionsformen, oder sind sie auch „nur“ beobachtend dabei, kann davon ausgegangen werden, dass eventuelle polizeiliche Maßnahmen weniger brutal ausfallen. Das polizeiliche Vorgehen kann im Nachhinein viel glaubhafter und vor allem öffentlichkeitswirksamer angegriffen werden, da Abgeordnete nicht nur eine höhere Öffentlichkeit besitzen, sondern auch eine höhere Glaubwürdigkeit als „normale“ Aktivist*innen. Debatten beispielsweise über Polizeigewalt können dabei helfen, das Vertrauen in der Bevölkerung in den Staat zu untergraben. Dafür ist es auch gut, dass Parlamentarier*innen und ihre Mitarbeiter*innen (in der Rolle als „parlamentarische Beobachter*innen“) mehr Rechte haben, beispielsweise das Recht, durch Polizeiabsperrungen gelassen zu werden.

Parlamentarier*innen können im Klassenkampf in anderen Ländern und auch international eine besondere Rolle spielen. Wenn deutsche Parlamentarier*innen an Protesten gegen Sozialabbau in Ländern teilnehmen, die durch die deutsch geführte EU zum Kürzen gezwungen werden (wie beispielsweise Griechenland im Zuge der letzten größeren Krise), kann das helfen rechte und nationalistische „Lösungen“, wie sie in solchen Bewegungen oft präsent sind, zurückzudrängen und die Idee einer grenzüberschreitenden Klassensolidarität zu vermitteln. Auch genießen Parlamentarier*innen deutlich mehr Schutz und können dort, wo harte Repression gegen Bewegungen angewandt wird, mit den Bewegungen marschieren. Insbesondere in Ländern, die viel Wert auf gute Beziehungen zu Deutschland legen, wird dies das Repressionsmaß abmildern und gleichzeitig für eine größere internationale Aufmerksamkeit für das Anliegen und die jeweiligen Kämpfe sorgen.

Und natürlich können Parlamentarier*innen Gesetzesinitiativen einbringen, die das Leben der Arbeiter*innenklasse oder von marginalisierten oder entrechteten Gruppen wie Geflüchteten verbessern würden. Unabhängig vom Ausgang solcher Initiativen würde darüber diskutiert werden. Besonders gut ist es, wenn solche Initiativen bestehende Initiativen und Bewegungen einbeziehen und ergänzend zu Aktionen eingebracht werden, um über die erhöhte Aufmerksamkeit auch mobilisierend zu den jeweiligen Aktionen zu wirken.

Zusammengefasst: Sozialist*innen im Parlament haben unserer Ansicht nach explizit nicht die Aufgabe, sich nach den Regeln des Systems zu beteiligen. Sie nutzen ihre Ressourcen, ihre Reichweite und ihre Funktion, um die sozialistische und Arbeiter*innenbewegung voran zu bringen und sehen sich dabei immer im Kontext der anderen Glieder der sozialistischen Bewegung. Sie dürfen sich nicht selbständig machen, sondern müssen einen engen Draht zu Klasse, Bewegung und natürlich Partei halten. Und sie sollten regelmäßig Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegen.

DIE LINKE

DIE LINKE hat in ihrer Gesamtheit leider sehr wenig mit den oben skizzierten Aufgaben gemein. In der Regel reihen sich LINKE-Abgeordnete mehr oder weniger im parlamentarischen Getriebe ein: Fokussieren ihre Arbeit auf eher schwache Gesetzesinitiativen, die zwar in der Regel das Leben der Arbeiter*innenklasse verbessern (Ausnahme: Ziemlich oft dort, wo DIE LINKE sich an Regierungen beteiligt, dort gehören Verschlechterungen oder die Beibehaltung des klassenfeindlichen Status Quo zum Alltag), aber kaum über die Grenzen des Kapitalismus hinaus zeigen. Die Abgeordneten geben zwar mehr ihrer Diäten ab als die anderer Parteien, fördern damit oft linke und von Kriminalisierung bedrohte Vereinigungen wie die Rote Hilfe oder die VVN, aber behalten doch in der Regel mehr als einen durchschnittlichen Facharbeiter*innenlohn und haben damit weniger finanzielle Sorgen als normale Facharbeiter*innen, geschweige denn Menschen die mit Sozialleistungen auskommen müssen.

Gleichzeitig gibt es aber auch zahlreiche Abgeordnete, die sich an Demos oder auch kriminalisierten Direkten Aktionen beteiligen, die zu Protesten in andere Ländern reisen, die ihre Ressourcen nutzen, um beispielsweise über ihre Mitarbeiter*innen den Aufbau sozialer Bewegungen zu unterstützen oder mit ihren Büros Gruppen Räumlichkeiten bieten. Durch die Bundestagsfraktion werden wichtige Informationen herausgefunden und veröffentlicht, beispielsweise die tatsächliche Arbeitslosenzahl (fast eine Million höher als die offizielle, schöngerechnete Zahl) oder die Termine, wann die Bundeswehr in Schulen, Jobcenter, Berufsmessen o.Ä. auf Rekrutenfang geht.

DIE LINKE ist ein Bezugspunkt für fortschrittliche Bewegungen und starke linke Wahlergebnisse wirken motivierend. Andersrum würden schwache Wahlergebnisse das Potenzial bergen, deprimierend in die linke Bewegung zu wirken, was nicht zuletzt angesichts steigender AfD-Wahlergebnisse und der folgend steigenden Motivation ihrer Anhänger*innen fatal wäre.

DIE LINKE ist die einzige relevante linke Partei in Deutschland. Sie unterscheidet sich schon allein durch ein Faktum von allen anderen großen Parteien: Sie ist die einzige Partei, die konsequent „Spenden“ von Banken und Konzernen ablehnt. Ohne ihre Existenz sähe es deutlich düsterer im Land aus. Auch wenn wir uns eine deutlich klassenkämpferischere Partei wünschen (und uns dafür einsetzen), spricht vieles dafür, für starke Vertretungen in den Räten zu kämpfen.