Solidarität mit dem Kampf der Uiguren!

Solidarität mit dem Kampf der Uiguren!

Bei der Landesvollversammlung (22.-24.11.) haben wir uns in einem Workshop und im Plenum mit dem Kampf der Uiguren beschäfigt. Sie sind in Orstturkestan (China) massiver Verfolgung ausgesetzt. Wir verteidigen das Recht auf Selbstbestimmung und solidarisieren uns mit dem Kampf der Uiguren. Ein entsprechender Antrag wurde beschlossen. Wir dokumentieren hier die Begründung, die mehr Infos enthält.

1. Überblick: Die Uiguren und Ostturkestan
Die Uiguren stellen eine ethnische Gruppe dar, die sich zu den Turkvölkern zählt. Sie sind in der Mehrzahl muslimischen Glaubens. Die Uiguren sprechen eine eigene Sprache, die uigurische Sprache, welche zu den Turksprachen gehört, und verfügen über eine eigene Schrift. Die größte Gruppe der Uiguren lebt auf dem heutigen Gebiet Chinas im Nordwesten des Landes. Dieses Gebiet wird offiziell als autonome uigurische Region Xinjiang bezeichnet. Xinjiang bedeutet übersetzt in etwa „neu gewonnenes Land“. Aufgrund der imperialistischen Assoziationen mit diesem Namen wählen Uiguren und teilweise die sie unterstützenden Menschenrechtsorganisationen die widerständige Selbstbezeichnung Ostturkestan. Ostturkestan mit der Hauptstadt Urumqi umfasst eine Fläche von 1,8 Millionen km², was in etwa der fünffachen Größe Deutschlands entspricht und ein sechstel Chinas ausmacht. Nach offiziellen Angaben leben hier 24 Millionen Menschen, wovon rund 11,8 Millionen Uiguren seien. Die Uiguren gehen aber von über 20 Millionen uigurischen Einwohner*innen aus.

2. Die Situation der Uiguren in Ostturkestan
Grundsätzlich bestehen keine Menschenrechte für Uiguren in Ostturkestan. So ist eine freie Meinungsäußerung nicht möglich. Uigurische Wissenschaftler*innen, Gelehrt*innen und Geistliche bilden hier keine Ausnahme. Als Beispiel ist der Wissenschaftler Ilham Tohti zu nennen, der zuletzt für seinen Einsatz für Menschenrechte vom Europaparlament den Sacharow-Preis verliehen bekam, aber für seinen Einsatz immer noch in chinesischer Gefangenschaft befindet. Auch die Informationsfreiheit ist für Uiguren streng reguliert. So werden die Nutzungsmöglichkeiten des Internets für sie deutlich stärker eingeschränkt als es sonst in China üblich ist. Uiguren ist es außerdem strengstens untersagt in Gruppen zusammen zu kommen. Feiertage, Feste oder einfache Freizeitgestaltungen werden seitens der Regierung somit blockiert.
Darüber hinaus führt die chinesische Regierung einen systematischen Kampf gegen die freie Religionsausübung der muslimischen Uiguren. So ist beispielsweise das Tragen von Kopftüchern sowie langen Bärten verboten und das Fasten während des Ramadans untersagt. Auch wird aktiv an der Zerstörung der uigurischen Kultur gearbeitet. Während eine Zeit lang in den Schulen die uigurische Sprache parallel zu der chinesischen gelehrt wurde, wurde sie derweil aus dem Bildungssystem komplett gestrichen. Außerdem werden historische Gebäude abgerissen und uigurische Städtebilder wie das in Kashgar zerstört. Der Anteil der chinesischen Bevölkerung in Ostturkestan ist seit der Besetzung 1949 durch eine systematische Besiedlungspolitik von 4% auf 46% gestiegen. Davon sind alleine 2 Millionen chinesische Soldat*innen.
Die Durchsetzung dieser Politik wird unter anderem durch zahlreiche Check-Points, massiven Polizeieinsatz und digitale Überwachung gewährleistet. Überwachung wird aber nicht nur digital, sondern auch durch direkte Kontrollen bei den Menschen zu Hause ausgeübt. Dafür gibt es die Verpflichtung dazu, dass jede Familie für einen Mann Unterkunft zur Verfügung zu stellen hat. Insbesondere für alleinstehende Frauen* stellt das aufgrund der Gefahr sexueller Übergriffe eine einschüchternde Situation sein. Eine weitere sexistische Komponente der chinesischen Politik ergibt sich dadurch, dass während medizinisch notwendigen Eingriffen uigurische Frauen* ohne ihr Wissen im Rahmen der Ein-Kind-Politik sterilisiert werden. Aus Angst vor dieser Praxis müssen diese Krankenhausbesuche meiden.

3. Gefangene und verschleppte Uiguren
Die Situation der Uiguren in Ostturkestan hat inzwischen ein neues schockierendes Level erreicht. 2017 wurden die sogenannten „Erziehungslager“ in Betrieb genommen, in die Uiguren, aber auch Zugehörige anderer kleinerer unliebsamer ethnischer Gruppen in Ostturkestan deportiert werden. Von diesen Lagern gibt es inzwischen 1.200 Stück. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch gehen davon aus, dass sich heute in China etwa eine Millionen Uiguren in Internierungslagern in Gefangenschaft befinden. Die Uiguren selber rechnen aufgrund der hohen Anzahl verschwundener Angehöriger und der gewachsenen Anzahl kompletter Viertel, die unbewohnt leer stehen, damit, dass diese Zahl viel höher liegen muss und gehen von zwei bis drei Millionen Gefangenen aus. In hoher Anzahl gehören Männer zu den Gefangenen. Auf Ältere wird keine Rücksicht genommen. Nachdem die chinesische Regierung anfangs die Existenz dieser Einrichtungen bestritten hat, gibt sie diese nun öffentlich zu.
Die Insassen werden ohne gerichtlichen Beschluss oder gar nennenswerten Grund gegen ihren Willen in den Straflagern festgehalten. Ein Recht auf einen Rechtsanwalt haben sie nicht. Die Unterbringungen sind menschenunwürdig. Teil der Gefangenschaft ist es sich der Propaganda der chinesischen Ideologie auszusetzen und Gehirnwäsche-Methoden über sich ergehen zu lassen. Willkürliche Hinrichtungen und Handel mit den Organen der Gefangenen, die hingerichtet werden sollen, sind ebenfalls ein Bestandteil dieser Internierungslager.
Die uigurische Bevölkerung ist tagtäglich mit der Angst konfrontiert, willkürlichen Festnahmen ausgesetzt zu sein. Die chinesische Polizei inhaftiert Uiguren ohne Indizien auf ein Verbrechen. Das führt zu einem hohen und annehmbarerweise beabsichtigten psychischen Druck auf die noch „freien“ Uiguren. Familien erfahren dabei oft nichts über den Zustand ihrer inhaftierten Angehörigen und haben auch kein Recht auf Auskunft.
Auch uigurische Kinder und Jugendliche bleiben nicht verschont. Es ist bekannt, dass sie aus ihren Familien herausgenommen und in chinesische Städte deportiert werden, in denen sie nach chinesischen Ideologien erzogen werden sollen. Gerade Eltern, die sich in Gefangenschaft befinden, können sich nicht gegen diese Maßnahme wehren.

4. Andere unterdrückte Gruppen
Die sogenannte Volksrepublik China kann als ein neuimperialistischer Staat bezeichnet werden. Auf deren Gebiet leben sehr verschiedene ethnische Bevölkerungsgruppen, die in abwertender Form als Minderheiten bezeichnet werden. Neben Uiguren leben in Ostturkestan beispielsweise noch Kasachen und Kirgisen, die sich teilweise auch in Gefangenschaft befinden. Die Hui, eine chinesisch-muslimische Bevölkerungsgruppe, die – wenn auch noch nicht so massiv wie die Uiguren – ebenfalls zunehmend in ihren (religiösen) Freiheiten eingeschränkt werden, stellen einer der größeren Bevölkerungsgruppen dar. Beispielhaft sind des weiteren Tibetaner*innen zu nennen, die ebenfalls religiöse und politische Unterdrückung erfahren. Die offiziell zugesprochene Autonomie für die sogenannten autonomen Regionen wird in der Praxis weder für Ostturkestan noch für andere Regionen wie Tibet umgesetzt. Aktuell befinden sich besonders die Menschen in Hongkong in der Gefahr weitere Autonomierechte zu verlieren.
Problematisch ist hierbei, dass die verschiedenen ethnischen Gruppen massiven Informationseinschränkungen durch die chinesische Regierung ausgesetzt sind. Das führt dazu, dass sie erschwerten Zugang zu Informationen über die gegenseitige politische Situation haben. Trotz dieser Hürde ist zu erkennen, dass die Gruppen übereinander informiert sind und füreinander Solidarität kundtun. Auch zwischen den Hongkong-Protestteilnehmer*innen und den Uiguren hat es öffentliche Solidarisierungen gegeben.

5. Geflüchtete Uiguren
In Deutschland sind die Uiguren vor allem aus der Medienberichterstattung über Internierungslager in China bekannt. Sie waren zuletzt besonders in den Fokus geraten als Ende letzten Jahres ein abgeschobener Uigure in China spurlos verschwand. Aufgrund ihrer Verfolgung in China gilt nach dem Paragraphen 60 des Aufenthaltsgesetzes wegen der erheblichen konkreten Gefahr für ihr Leib, Leben oder Freiheit inzwischen ein Abschiebeverbot.
Insgesamt leben 12.000 Uiguren in Europa. In den letzten 30 Jahren habe es nur 300 Familien erfolgreich geschafft nach Deutschland zu fliehen. Der Grund für die geringe Anzahl und damit Sichtbarkeit von geflüchteten Uiguren ist, dass Flucht aus China nur eingeschränkt und unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Es bestehen in China gesetzliche Ausreiseeinschränkungen, die beispielsweise über 70-jährigen, die Ausreise verbieten. Zudem kommt hinzu, dass eine Flucht sehr kostspielig ist und für die Beschaffung von Reiseunterlagen gute Kontakte in China notwendig sind. Heute leben die meisten Uiguren in Deutschland in München, weil sich dort der Sitz des Weltkongress der Uiguren befindet.

6. Widerstandsformen
Der Weltkongress der Uiguren (World Uyghur Congress (WUC)) ist eine internationale Organisation, die die gemeinsamen Interessen der Uiguren sowohl in Ostturkestan als auch im Rest der Welt vertritt. Er wurde am 16. April 2004 in München gegründet, wo der Kongress immer noch seinen Sitz hat. Aktive in dieser Organisation verfügen über direkte Informationen, was die politische Situation und Interessen der Uiguren in China, Deutschland oder einem anderen Land betrifft. Er steht in engem Kontakt mit der Uigurischen Gemeinde in Europa e. V. Von der chinesischen Regierung wird der Weltkongress der Uiguren als eine terroristische Organisation geführt, obwohl sie außerhalb Chinas als eine friedliche und lösungsorientierte Stimme der Uiguren gilt, die Missstände artikuliert und Proteste organisiert.
Über Deutschland hinweg gibt es zwar zahlreiche weitere Kulturvereine. Politisches Engagement für die Rechte der Uiguren stellt für sie aber eine große Gefahr dar, weil ihre in China zurückgebliebenen Verwandten als Druckmittel gegen sie verwendet werden können, indem sie für die kritische Stimme der Verwandten in Deutschland verfolgt werden.
Vor allem die Frauen* spielen eine wichtige Rolle in dem organisierten Widerstand. Da viele ihrer männlichen Partner und Söhne durch Einwirkung der chinesischen Regierung „verschwunden“ sind, haben sie sich, um sich gegenseitig sozial beistehen und auch ihre Perspektive in dem Konflikt kommunizieren zu können, eigene Frauenausschüsse in den größeren Selbstvertretungsorganisationen gegründet.
Die tägliche Unterdrückung seit Jahrzehnten führt auch in China zu gefährlichen Spannungsverhältnissen. Zuletzt war 2009 in Urumqi eine Demonstration von uigurischen Studierenden brutal niedergeschlagen worden. Insgesamt stellt jede Artikulation von politischer Kritik eine große Gefahr für die kritische Stimme dar, weil mit direkter Verfolgung zu rechnen ist.

7. Sozialistische Perspektive
Die Uiguren und die gesamte Region Ostturkestan bekommen die vollen Auswirkungen der chinesischen sowie auch globalen kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung zu spüren.
Die wachsende Wirtschaft in den industriellen Zentren an Chinas Ostküste verlangt immer mehr Rohstoffe. Ostturkestan ist reich an Erdgas, Öl, Kupfer, Gold und Uran. Mit dem Vorwand der „wirtschaftlichen Erschließung benachteiligter Regionen“ wird die Ausbeutung neuer Rohstoffvorkommen in Ostturkestan vorangetrieben. Die Region Ostturkestan ist außerdem der Erdgaslieferant für die Volksrepublik China schlechthin. Mit dem wirtschaftlichen Wachstum geht auch der Wunsch zum Ausbau der militärischen Macht einher. Der chinesische Staat übte mittlerweile 46 Atombombentests in Ostturkestan aus. Ganze Orte und Gebiete sind inzwischen zerbombt und nicht mehr nutzbar. Die Menschen werden ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen den Strahlungen ausgesetzt. Es entstehen hohe Umweltschäden und nachfolgende Generationen leiden bereits unter körperlichen Missbildungen. Durch diese Interessen ist es zu erklären, dass China politische Bestrebungen zu mehr Selbstbestimmung für Uiguren als eine große Gefahr wahrnimmt und starke Repression über sie ausübt.
Doch die chinesische Regierung ist nicht der einzige Handlungsakteur in dem kapitalistischen Ausbeutungs- und Unterdrückungsgeflecht. Auch andere Staaten und international aktive Unternehmen haben ein starkes Interesse daran, die Entwicklungen in Ostturkestan zu relativieren, zu verschweigen und sogar zu befördern. Zu den mächtigen Wirtschaftspartnern gehören unter anderem deutsche Unternehmen. Beispielsweise ist Volkswagen eines der Unternehmen, die unmittelbar von der Unterdrückung der Uiguren profitiert, indem er eine Fabrik in Ostturkestan nicht unweit von den Internierungslagern betreibt.
Staaten wiederum, die an dem eigenen wirtschaftlichen Wachstum interessiert sind, schätzen China als wirtschaftlichen Handelspartner und unterlassen Handeln, das die gute Beziehung gefährden könnte. Selbst Länder mit Menschen mehrheitlich muslimischen Glaubens halten sich zurück und relativieren die Zustände in China, um ihrem Profit nicht zu schaden. Da auch Informationen aus China aufgrund ihrer Abschottungsversuche nur sehr schwer nach außen dringen, hat China ein fast völlig freies Spiel in seinen Repressionen. Politisch ist die prekäre Situation der Uiguren in Deutschland sowie auch international ein so vernachlässigtes Thema, dass türkische Rechtsextreme versuchen das Thema für sich zu vereinnahmen, indem sie das Gebiet der Uiguren Ostturkestan in ihre nationalistische Erzählung eines Großtürkenreichs integrieren und ihre Motivation zur Solidarisierung mit den Uiguren auf diese Weise begründen.

Eine Solidarität der linksjugend [‘solid] Nordrhein-Westfalen mit dem Kampf der Uiguren ist aus diesen Gründen dringend notwendig. Es braucht eine antikapitalistisch-internationale Solidarität mit dem Kampf der Uiguren, die nach Freiheit und Selbstbestimmtheit in einem friedlichen und menschenwürdigen Lebensumfeld streben.