Zehn Jahre nach dem Beginn der Weltwirtschaftskrise 2008/09 haben
sich die Widersprüche der kapitalistischen Weltökonomie nicht
verringert, sondern verstärkt. Ergebnis ist eine Zunahme der Konflikte
zwischen kapitalistischen Staaten, ungehemmte Militarisierung, das
Fortschreiten des Klimawandels, Angriffe auf Lebensstandard und soziale
Rechte der arbeitenden Bevölkerung weltweit und ein erschreckender Abbau
demokratischer Rechte.
Die Sozialdemokratie hat in Deutschland wie international dem nichts
entgegengesetzt, sondern war im Gegenteil Umsetzerin neoliberaler
Politik. Sie hat die Basis in der Arbeiterklasse verloren. Den hier frei
gewordenen politischen Raum konnten linke Parteien bisher nur teilweise
besetzen.
Ergebnis dieser Prozesse sind die Stärkung von Rechtspopulismus,
Nationalismus und Rassismus auf der einen Seite und sozialen und
gewerkschaftlichen Protest- und Widerstandsbewegungen auf der anderen
Seite; das bürgerliche Establishment hat enorm an Unterstützung und
Glaubwürdigkeit verloren. Die Gesellschaft ist polarisiert.
In solchen Zeiten ist nichts wichtiger, als die Förderung von
Selbstaktivität und Selbstorganisation der unter diesen Verhältnissen
leidenden Menschen einerseits und der Aufbau einer sozialistischen
Partei andererseits, die Kämpfe und Widerstandsbewegungen zusammenführen
und ihnen eine über den Kapitalismus hinaus weisende Perspektive bieten
kann. DIE LINKE in ihrer heutigen Form ist noch keine solche Partei.
Sie tritt selten mit radikalen Forderungen auf, ihre öffentlichen
Vertreter*innen wirken oft zahm und staatstragend. Aber sie ist der
einzige relevante Ansatz für eine gesellschaftlich wirksame
sozialistische Kraft, die verschiedene Strömungen und Einzelpersonen der
Linken zusammen bringen kann. Deswegen bauen wir diese Kraft motiviert
auf, richten sie auf Bewegungen aus und verteidigen ihre sozialistischen
und kämpferischen Elemente und ihre demokratischen Strukturen.
Das bedeutet für uns deutlich zu machen, dass DIE LINKE die
entscheidende oppositionelle Kraft gegen das kapitalistische
Establishment werden muss. Aus unserer Sicht muss die Partei dazu ihren
Schwerpunkt auf die Unterstützung von Streiks und sozialen Bewegungen
legen, solche zusammenführen, Vorschläge für erfolgversprechende
Strategien und Taktik machen und AktivistInnen – unabhängig von
Nationalität, Hautfarbe, Aufenthaltsstatus oder Religionszugehörigkeit –
einladen, mit der LINKEN und linksjugend [’solid] den Kampf nicht nur
um das Brot, sondern um die ganze Bäckerei zu führen. Die Kampagnen zu
den Themen Wohnen und Pflege, die Unterstützung der #Seebrücke-Bewegung,
der Proteste gegen die neuen Polizeigesetze, der antirassistischen
Proteste von #ausgehetzt bis #unteilbar bieten dazu gute Chancen.
Veränderung beginnt mit Opposition, unser Ziel ist aber nicht Opposition
in alle Ewigkeit zu sein, sondern die Veränderung der Gesellschaft
indem wir gesellschaftliche Mehrheiten für linke Politik schaffen. Die
Frage, warum DIE LINKE nicht mehr ehemalige SPD-Wähler*innen und vor
allem auch Nichtwähler*innen mobilisieren kann, ist berechtigt. Die
Antwort ist aber nicht eine Anpassung an bürgerliche und
nationalistische Kräfte, sondern konsequente Interessenvertretung für
alle Teile der lohnabhängigen und sozial benachteiligten Bevölkerung,
Wiedererlangung verlorener Glaubwürdigkeit und ein klares Profil als
antikapitalistische Anti-Establishment-Partei.
Wir wollen auch eine starke LINKE in den Parlamenten, aber keine linke
Partei, die um eines Platzes auf den Regierungssesseln willens, auf die
Durchsetzung sozialistischer Politik verzichtet, sich
prokapitalistischen Parteien anpasst und als linker Teil des
Establishments wahrgenommen wird. Davon profitieren, wie wir leider in
den ostdeutschen Bundesländern beobachten können, nur die Rassisten und
Rechtspopulisten der AfD.
Aus all diesen Gründen können wir die Initiative „aufstehen“ von Sahra
Wagenknecht, Oskar Lafontaine und anderen nicht unterstützen. Wir sehen
darin:
- einen inhaltlichen Schritt nach Rechts hin zu pro-marktwirtschaftlich-sozialdemokratischer Politik, die keine Antwort auf die Krisen des Kapitalismus anbieten kann. Zur Durchsetzung konkreter Verbesserungen sollten wir mit allen zusammen kämpfen, die solche Verbesserungen tatsächlich auch erkämpfen wollen, aber die Bildung einer politischen Bewegung mit einer programmatischen Ausrichtung, die eindeutig einen Schritt weg von linken und sozialistischen Grundsätzen bedeutet, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Dies gilt für die bekannten migrationspolitischen Positionen, die Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und andere propagieren, aber nicht nur dafür. Die migrationspolitischen Positionen halten wir jedoch für besonders gefährlich, weil sie sozialistische Grundsätze von Gleichheit und Einheit der Arbeiterklasse und sozial Benachteiligten in Frage stellen und Spaltungslinien Vorschub leisten. Die Nichtunterstützung der #unteilbar Demonstration, die mit 242.000 Teilnehmer*innen stärker als bisherige antirassistische Proteste die soziale Frage betont hat, durch Sahra Wagenknecht ist ein ernstes Warnsignal, wohin diese Positionierung führt.
- ein Ignorieren innerparteilicher Demokratie und mangelnde Wertschätzung der Parteibasis und gewählten Strukturen durch die Initiator*innen, die ihr Projekt zu keinem Zeitpunkt in den Strukturen der Partei zur Diskussion oder Abstimmung gestellt haben.
- ein medial inszeniertes, internetbasiertes Top-Down-Projekt, das bisher nichts mit realer gesellschaftlicher Bewegung von unten zu tun hat. Wir wollen eine demokratische Linke, die von unten nach oben aufgebaut ist, demokratische Beteiligungs- und Entscheidungsstrukturen anbietet und nicht von einigen wenigen Prominenten abhängig ist.
Diejenigen Genossinnen und Genossen, die sich in aufstehen engagieren wollen, rufen wir auf, sich an die Grundsätze und Beschlüsse der Partei zu halten und keine Konkurrenzprojekte zur LINKEN zu schaffen. Das gilt insbesondere für Funktions- und Mandatsträger*innen.
Gleichzeitig kann ein Projekt mit einer prominenten Linken und dem Reiz des Neuen eine gewisse Anziehungskraft entfalten. Wir freuen uns über jeden Mensch, der die Gesellschaft nach links verändern möchte. Wir werden sie nicht vor die Wahl stellen, ob sie sich als Teil von „aufstehen“ oder DIE LINKE sehen. Stattdessen machen wir Einheitsfront-Angebote, wollen in konkreten gesellschaftlichen Kämpfen die Selbstorganisation fördern und auch Debatten mit diesen Genoss*innen führen. Wir hoffen, darüber viele dieser Genoss*innen als engagierte MitstreiterInnen in der Wohnen- und Pflegekampagne, den anstehenden Wahlkämpfen, bei Streikposten und auf Demonstrationen und beim täglichen Aufbau der Partei- und Jugendverbandsstrukturen zu gewinnen.
Diese Positionierung wurde beschlossen auf der Landesvollversammlung im Herbst 2018