Stellungnahme der Basisgruppe Aachen zu den Ereignissen am 2. November 2013

Für den 2. No­vem­ber 2013 or­ga­ni­sier­te die Aa­che­ner Ba­sis­grup­pe der links­ju­gend [’solid] eine De­mons­tra­ti­on in der In­nen­stadt. Den Auf­ruf unter dem Motto „Flucht­ur­sa­chen be­kämp­fen statt Flücht­lin­ge – gegen Krieg, Elend und Fes­tung Eu­ro­pa!“ un­ter­schrie­ben sie­ben wei­te­re Grup­pen.

Mit die­ser Ak­ti­on woll­ten wir un­se­re So­li­da­ri­tät mit den Flücht­lings­pro­tes­ten in Ham­burg, Ber­lin und über­all de­mons­trie­ren, aber vor allem auch auf die Flucht­ur­sa­chen auf­merk­sam ma­chen. Krieg und Elend, Nah­rungs­mit­tel­knapp­heit und ver­un­rei­nig­tes Was­ser, po­li­ti­sche Ver­fol­gung und Per­spek­tiv­lo­sig­keit sind di­rek­te Fol­gen der Aus­beu­tung des glo­ba­len Sü­dens – auch durch deut­sche Groß­kon­zer­ne. Vie­len bleibt da nur die Flucht, in der Hoff­nung wo­an­ders über­le­ben zu kön­nen.
An­statt aber an den Flucht­ur­sa­chen etwas zu än­dern, wer­den Flüch­ten­de in Deutsch­land wie Men­schen drit­ter Klas­se be­han­delt: Wer­den in total über­füll­te Lager ge­quetscht, be­kom­men kaum Geld oder sogar nur Le­bens­mit­tel­gut­schei­ne, dür­fen aber auch kei­ner Lohnar­beit nach­ge­hen, haben stark ein­ge­schränk­ten Zu­gang zu me­di­zi­ni­scher Ver­sor­gung, ob­wohl sie oft schwer trau­ma­ti­siert sind. Wenn sie es über­haupt bis hier­her schaf­fen – das be­wei­sen die über 400 Toten vor Lam­pe­du­sa. Daher unser De­mons­tra­ti­ons­mot­to: Wir woll­ten so­wohl an den Ur­sa­chen an­set­zen, gleich­zei­tig aber auch kon­kre­te Un­ter­stüt­zung für Be­dürf­ti­ge ein­for­dern.

Um 16 Uhr sam­mel­ten sich ca. 60 De­mo­teil­neh­me­rIn­nen zur Start­kund­ge­bung am Eli­sen­brun­nen. Um 16:45 Uhr ging der De­mons­tra­ti­ons­zug los. Über die Adal­bert­stra­ße soll­te es auf die Wil­helm­stra­ße zum Haupt­bahn­hof gehen.
Doch nur we­ni­ge Mi­nu­ten nach dem Be­ginn muss­ten wir auf der an­de­ren Stra­ßen­sei­te eine Grup­pe Neo­na­zis be­mer­ken, die pro­vo­zie­rend ein Trans­pa­rent hiel­ten. Dar­auf das Ha­ken­kreuz-​ähn­li­che Sym­bol der grie­chi­schen Fa­schis­ten-​Par­tei „Gol­de­ne Mor­gen­rö­te“, die für Po­gro­me gegen Mi­gran­tIn­nen und bru­ta­le po­li­ti­sche Morde be­kannt ist. Das Trans­pa­rent war vom „Frei­en Netz Süd“ un­ter­zeich­net, einem haupt­säch­lich in Bay­ern ak­ti­ven Netz­werk mi­li­tan­ter Neo­na­zis, die an­schei­nend enge Kon­tak­te zu hie­si­gen Neo­na­zis und rech­ten Hoo­li­gans pfle­gen.
Doch die Fa­schis­ten be­lie­ßen es nicht bei die­ser Pro­vo­ka­ti­on: Bald wech­sel­ten sie die Stra­ßen­sei­te, kamen auf uns zu, be­lei­dig­ten De­mo­teil­neh­me­rIn­nen und grif­fen schließ­lich kör­per­lich an. Die Demo wurde von min­des­tens drei Neo­na­zis di­rekt an­ge­grif­fen. Auch ein Po­li­zist wurde ge­schla­gen und ver­letzt. Die Po­li­zei nahm zu die­sem Zeit­punkt nur zwei von ihnen vor­über­ge­hend fest.
Aus den Rei­hen der an­grei­fen­den Neo­na­zi-​Grup­pe her­aus wurde eine Kund­ge­bung un­mit­tel­bar neben un­se­rer De­mons­tra­ti­on an­ge­mel­det. Skan­da­lö­ser Weise ge­währ­te die Po­li­zei­füh­rung diese! Wir mach­ten klar: ”Wir gehen erst, wenn die weg sind. Wir las­sen es nicht zu, dass Neo­na­zis in der Öf­fent­lich­keit ihre Hetze und Ge­walt ver­brei­ten kön­nen!”.
Trotz­dem blieb die Po­li­zei­füh­rung bei ihrer Hal­tung, wohl­wis­send dass sie damit eine wei­te­re Es­ka­la­ti­on über­haupt erst er­mög­lich­te. So kam es dann auch: Immer wie­der ver­lie­ßen Neo­na­zis ihre Kund­ge­bung, um ein­zel­ne De­mo­teil­neh­me­rIn­nen zu pro­vo­zie­ren. Bei einem wei­te­ren kör­per­li­chen An­griff ging die Po­li­zei sogar mit Pfef­fer­spray gegen sich ver­tei­di­gen­de An­ti­fa­schis­tIn­nen vor. Hier­nach wurde gegen drei wei­te­re Neo­na­zis An­zei­ge er­stat­tet, eine halbe Stun­de spä­ter lös­ten diese ihre Kund­ge­bung auf.
Un­se­re Demo konn­te ihren Weg fort­set­zen. Die jetzt ein­ge­setz­ten Po­li­zis­ten hat­ten keine Ah­nung, wie die De­mo­rou­te ver­lief. Die Demo lief am “Fi­as­ko” vor­bei, einer be­kann­ten, von rech­ten Ale­man­nia-​Fans („Karls­ban­de“ und „Sup­por­ters“) ge­nutz­ten Knei­pe. Un­se­rer An­mel­de­rin wurde vor­her zu­ge­si­chert, dass dort Po­li­zis­ten stün­den, die ver­hin­dern soll­ten dass un­se­re Demo aus die­ser Knei­pe her­aus at­ta­ckiert wer­den könn­te.
Dort an­ge­kom­men muss­ten wir fest­stel­len, dass dies nicht der Fall war. Die Demo lief fried­lich und laut an der Knei­pe vor­bei, bis Fla­schen flo­gen und be­trun­ke­ne Per­so­nen die De­mons­tra­ti­on an­grif­fen. An­de­re „be­lei­dig­ten“ De­mo­teil­neh­me­rIn­nen als Juden – auf dem Syn­ago­gen­platz! Die total über­for­der­ten Po­li­zis­ten lie­ßen einen ers­ten An­griff zu, re­agier­ten dann mit dem Ver­sprü­hen von Pfef­fer­spray, aber vor­wie­gend gegen die an­ge­grif­fe­nen De­mons­tran­tIn­nen! Es dau­er­te Mi­nu­ten, bis die Po­li­zei die ran­da­lie­ren­den rech­ten Hoo­li­gans zu­rück dräng­te.
Erst dann setz­te die Demo ihren Weg zum Haupt­bahn­hof fort. Die meis­ten De­mons­tran­tIn­nen gin­gen in das Au­to­no­me Zen­trum, um dort Schutz vor in der Stadt um­her­zie­hen­den Neo­na­zi-​Ban­den zu su­chen, denn meh­re­re An­ti­fa­schis­tIn­nen wur­den zeit­gleich am Eli­sen­brun­nen von Neo­na­zis an­ge­grif­fen. Keine fünf Mi­nu­ten nach Be­en­di­gung der De­mons­tra­ti­on pro­vo­zier­ten rech­te Hoo­li­gans er­neut am Au­to­no­men Zen­trum und such­ten Streit, der durch das be­son­ne­ne Han­deln der An­ti­fa­schis­tIn­nen nicht es­ka­lier­te.

Ge­gen­über un­se­rer An­mel­de­rin und auch dem LIN­KE-​Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten An­d­rej Hunko recht­fer­tig­te die Po­li­zei­füh­rung den Schutz der an­grei­fen­den Neo­na­zis mit deren „de­mo­kra­ti­schem Recht“. Das ist ab­so­lut zy­nisch, ins­be­son­de­re da von die­sen Neo­na­zis be­reits Ge­walt gegen die De­mons­tran­tIn­nen aus­ge­gan­gen war! Unter den Neo­na­zis waren nicht nur zu­ge­reis­te Neo­na­zis aus dem süd­deut­schen Raum, son­dern auch der ehe­ma­li­ge Aa­che­ner Da­ni­el Thön­nes­sen, der 2011 be­reits wegen Ge­walt­de­lik­ten ver­ur­teilt wurde und jetzt als Ver­bin­dungs­glied zur süd­deut­schen Neo­na­zi-​Sze­ne fun­giert. Man denke aber auch daran, wie immer wie­der – sei es in Stol­berg, Dres­den oder Dort­mund – die Po­li­zei mit enor­mer Härte gegen An­ti­fa­schis­tIn­nen vor­geht, die sich mit fried­li­chen Blo­cka­den Na­zi-​Auf­mär­schen in den Weg stel­len. Auch hier wird mit dem De­mons­tra­ti­ons­recht der Neo­na­zis ar­gu­men­tiert. Be­son­ders zy­nisch er­scheint die­ses po­li­zei­li­che Vor­ge­hen, wenn man be­denkt dass ge­gen­wär­tig noch von der Aa­che­ner Jus­tiz gegen Men­schen er­mit­telt wird, die gegen den aus­län­der­feind­li­chen Na­zi-​Auf­marsch in Stol­berg mit fried­li­chen Blo­cka­den vor­ge­gan­gen sind. Zudem ver­letz­ten Po­li­zis­ten Teil­neh­me­rIn­nen der De­mons­tra­ti­on, die sich ver­tei­di­gen muss­ten, und wirk­ten so es­ka­lie­rend. De­mons­tran­tIn­nen, die An­zei­ge er­stat­ten woll­ten gegen Neo­na­zis, wur­den teil­wei­se von Po­li­zis­ten nicht ernst ge­nom­men. Die Si­tua­ti­on am Syn­ago­gen­platz war vor­her­seh­bar und auch hier muss­ten wir fest­stel­len, dass die Po­li­zei­füh­rung nicht Wil­lens war, dem vor­zu­beu­gen.

Wir müs­sen also fest­stel­len, dass im Kampf gegen rech­te Ge­walt Po­li­zei und Jus­tiz keine Ver­bün­de­ten sind. Im Ge­gen­teil: Mit dem glei­chen Ar­gu­ment, dem De­mons­tra­ti­ons­recht wer­den An­ti­fa­schis­tIn­nen kri­mi­na­li­siert und Neo­na­zis ge­för­dert.

Wir müs­sen es also sel­ber tun:
An­ti­fa­schis­ti­schen Selbst­schutz or­ga­ni­sie­ren!
Fa­schis­ten ver­ja­gen!
Ras­sis­mus kon­se­quent be­kämp­fen!

Wir wer­den auch wei­ter­hin aktiv blei­ben gegen Neo­na­zis. Denn Fa­schis­mus ist keine Mei­nung, son­dern ein Ver­bre­chen!
Und wir kämp­fen wei­ter für eine Welt ohne Aus­beu­tung und Armut, ohne Se­xis­mus und Ras­sis­mus, ohne Um­welt­zer­stö­rung und Krieg. Wir kämp­fen gegen die ka­pi­ta­lis­ti­schen Aus­beu­tungs­ver­hält­nis­se. Fa­schis­ten schüt­zen diese Aus­beu­tungs­ver­hält­nis­se, grei­fen Men­schen an, die sich da­ge­gen weh­ren. Sie sind nütz­li­che Idio­ten des ka­pi­ta­lis­ti­schen Sys­tems.
Wir laden jede und jeden ein, sich uns in die­sem Kampf an­zu­schlie­ßen!

Wir tref­fen uns jeden Diens­tag um 19 Uhr im Lin­ken Zen­trum Aa­chen, Au­gus­ta­stra­ße 69. In­ter­es­sier­te sind herz­lich will­kom­men.